Missverständnis


 

Meine Güte, was habe ich nicht alles falsch verstanden im letzten Jahr. Und welche Zweifel ich gegenüber jenen hatte, die die neuen nationalen und sozialen Heimatparteien gewählt haben, nämlich dass sie sich eventuell ins eigene Fleisch schneiden würden. Ich habe alle fürchterlich unterschätzt. Ich habe einfach nicht bedacht, dass das Wählen dieser zwei so herzlich patriotischen Bewegungen eine bedingungslose Solidaritätsbekundung an unsere Minderheiten ist. Ich habe nicht überrissen, dass unser Volk die paar armen Teufel, die mit einem vielfachen leben müssen im Vergleich zu uns, einfach unterstützt und ihnen so ihre weitere Existenz sichert, ohne Scheu und mutig in die Zukunft blickend, komme was da wolle und egal, ob die zweite Wange von oben herab bearbeitet wird, nachdem die erste von einem schwarz-blauen Hämatom in Handform gezeichnet ist. Sie haben angekündigt, dass es nichts wird mit einer Mietobergrenze, damit dem Hausherren noch wenigstens irgendetwas bleibt von der harten Arbeit der Vermietung. Und der Mieter entschied sich für das knappe Überleben seiner Platzgeber. Das ist wahre Größe. Weg mir den roten Fäden.

 

Außerdem konnte ich nicht ahnen, dass unser Volk so viele wohlhabende Menschen versteckt hält, die in absehbarer Zeit Erbschaften machen werden, die weit über eine Million Euro betragen werden oder gar einen Konzern mit sich bringen. Wusste ich einfach nicht, und jetzt ist mir wohl beim Vorbeispazieren an Bethlehem auch ein Licht aufgegangen, warum so viele keine Erbschaftssteuer wollen: Damit es einfach allen gut geht. Die Frage, die sich mir gestellt hat, nämlich jene nach dem unbedingten Bedarf einer Veränderung der Dinge in einem Ausmaß, dass kein Stein auf dem anderen bleibe, beantwortet sich nun quasi von selbst: Wenn der Sozialstaat endlich weg ist und jene, die in diesen Hängematten fröhlich und zufrieden tagaus und tagein schaukeln und dem Herrgott die Tage stehlen aus ebenjenen herausgeschüttelt werden, um endlich Teil der Hochkonjunktur zu werden, wird alles gut sein. Sie werden, wie es Brauch ist auf unserer Insel der Seligen, bestimmt soviel Lohn bekommen, dass auch sie einsehen werden, dass eine Mietobergrenze einfach Unsinn ist, wenn es doch so einfach funktioniert, ein Leben in Saus und Braus zu finanzieren mit seiner eigenen Hände Kraft für das Vaterland.

 

Ich habe das alles nicht sehen und einsehen wollen. Oder besser können. Ich war mit Vorurteilen erfüllt. Die Kanzlerpartei offenbar auch in den letzten paar Jahrzehnten ihrem damaligen Koalitionspartner gegenüber. Neu gestrichen lässt sich aber aller alter Groll vergessen. So ist es nachvollziehbar, dass das Glück nach dem Abstreifen des sozialistischen, was sage ich, kommunistischen Korsetts komplett ist, gerade noch, da wir knapp vor einer Revolution gestanden sind, die uns Hammer und Sichel beschert hätte. Nun erkenne ich, wenn auch langsam, aber das ist der Trägheit meiner verblendeten Wahrnehmung geschuldet, die wahre Größe der neuen Bundesregierung, die die kommenden Tage und unsere in den letzten Jahren verdunkelten österreichischen Seelen erhellen wird. Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut, und wie die Wirtschaft und wir alle profitieren können, wenn die sozialistische Konjunkturbremse deaktiviert ist, das wissen wir. Und wenn alles gut geht, wird auch in unserem südlichsten Bundesland schon bald dem finsteren sozialistischen Treiben ein Ende gesetzt, das den landeseigenen Wirtschaftsaufschwung, mühsam unter Orangen und Zwetschken herbeigeführt, eine jähe Unterbrechung brachte. Die Sonne wird wieder auf den Himmel klettern, und wenn sie das dort im Süden tut, werden wir wieder ein Reich sein, in dem die Sonne nie mehr untergeht. Die brummende Wirtschaft und das Konjunkturhoch mit einem tollen Arbeitslosenrückgang ist vor allem der konstruktiven Oppositionsarbeit unserer Vizekanzlerpartei der letzten Jahre zu verdanken, und da ist jetzt, in der Regierung, noch mehr Luft nach oben, aber hallo!

 

Neben einer Veränderung, die einer am Boden liegenden Wirtschaft endlich eine Herzmassage und Sauerstoffzufuhr gewährt, die ihr über Jahrzehnte verwehrt geblieben war, dass sich das Land quasi in Trümmern wähnt, geht es auch um die Erhaltung unserer österreichischen Leitkultur, in welcher ein Halbmond nichts verloren hat, sondern das Kreuz schon seit Menschengedenken die tragende Rolle spielt, und sei es eines mit Haken: Was ist schon so schlimm daran? Nun endlich, endlich  nichts mehr, nehmen wir unseren Vizekanzler als unüberbietbares Beispiel einer gelungenen Reintegration: Gestern noch mit Gottfried Küssel im finsteren Wald, setzt er sich heute als Minister unter anderem für Sport dafür ein, dass im Wirtshaus geraucht werden darf. Wer Sport betreibt, darf auch einmal eine anheizen, da bin ich ganz d´accord, auch hier also wackeln meine Vorurteile wie Pudding auf einem Papierrüttler. Und sie wackeln noch viel heftiger, als ich es mir jemals hätte denken können, vor allem in Anbetracht unserer Umwelt, wo ich einfach zu kleinräumig gedacht habe bisher, aber das große Ganze aus den Augen verloren. Der neue Innenminister hat Recht. Radarkästen sind häufig wirklich reine Schikane. Es steht doch ohnehin ein Tempolimit festgeschrieben, da erscheint eine Kontrolle, die bei Überschreitung Geldstrafen mit sich bringt, als reiner Hohn. Und darum will sein Kollege, der trotz aller Ungereimtheiten, die eine Demokratie mit sich bringt, trotzdem nicht hat Bundespräsident werden dürfen, obwohl oder gerade weil da bestimmt einiges falsch gelaufen ist, das Tempo auf der Autobahn erhöhen. Warum er das will hat er noch nicht erklärt, aber es ist davon auszugehen, dass er Recht hat. Bestimmt. Es lässt sich vielleicht damit begründen, dass, wenn einmal 140 erreicht sind, das Tempo zu halten ist, egal, was kommt, und jedes Limit brächte eine Umweltschädigung mit sich, weil wieder beschleunigt werden müsste. Ein Sprecher des Innenministers meinte, dass der Autofahrer, wenn er rechtzeitig vor einem Radargerät bremst, einen Lerneffekt beweisen würde, die Geschwindigkeit einzuhalten. So ist es! Es war mir ja nicht bekannt, dass die Fachleute in den jeweiligen Abteilungen nebenbei fundierte pädagogische Kenntnisse mitbringen. Weil ich alles vernachlässigt habe. In meiner Ignoranz. Und seien wir ehrlich: Die Umwelt ist stark genug, das Klima hat sich schon öfter verändert, und eine Senkung der Heizkosten von selbst arbeitet vor allem dem kleinen Mann in die Tasche.

 

Wer bremst verliert, wir nehmen jetzt endlich Tempo auf. Wohin wissen wir nicht so genau, aber nachdem wir alle gemeinsam mitfahren, ist das insgesamt in Ordnung, und wir sind wegen des Tempos früher da, das ist doch schon einiges. Wir haben ja uns. Uns autochtone Österreicherinnen und Österreicher. Ab fünfzig wird es zwar schwierig mit dem Mitfahren, aber der neue Glanz der pomadierten Haare und erweiterten blauen Pupillen wird auch diese Bremsen der Konjunktur noch zum Parieren bringen. Jobbonus und Aktion 20.000 sind einfach nicht gegenfinanziert, weg damit, richtig so. Und die Trittbrettfahrer, die hierher kommen, weil sie zu blöd sind, daheim einen Frieden zu machen, sollen das endlich tun, aber nicht hier, nicht bei uns, sondern dort. Und einen entscheidenden und weitsichtigen Schritt hat unser Kanzler mit der Schließung der Balkanroute getan.

 

Es klingelt ein Wecker.

 

Wie so etwas marketingmäßig verkauft werden könnte, wird bald die zentralste Frage werden. Wenn nämlich die Hütte abgebrannt ist, wird es schwierig sein, die Schuld dem Roten Kreuz zuzuschieben, noch zündeln stets Brandstifter, die die Häuser betreten. Ich bin gerade aus einem Alptraum aufgewacht. Ich habe dort ein paar Dinge verstanden, von denen ich meinte, dass ich lieber vom Blitz getroffen werde als sie jemals zu verstehen. Und schnell stelle ich das Radio ab. Weil ich es immer noch nicht glauben kann. Was. Da. Allen. Ernstes. Von. Ministern. Erzählt. Wird. Die. Uns. Die. Nächsten. Jahre. Regieren. Sollen. Viel Zeit hatte diese Regierung noch nicht, und es fühlt sich bereits jetzt an wie eine ewige Irrenanstalt.

 

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