Edith Risse: Alexandra Gschiel and I


Im Obergeschoss von KiG! Kultur in Graz hat sich für die Multimedia-Künstlerin Alexandra Gschiel die Möglichkeit ergeben, eine Werkschau ihrer neuesten Arbeiten zu zeigen – eine der für sie seltenen Gelegenheiten sich mit größeren und umfangreicheren Serien räumlich auszubreiten.
Die Foto-, Video-, Textil- und Performance-Künstlerin arbeitet bevorzugt mit ihrem eigenen Körper als Subjekt wie auch als Objekt, immer auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Für die eindrucksvolle Fotoserie Peitschenkleid steckt sie ihren Körper in grobe Jute und verwendet Peitschen (fünf Reit- und eine Longier-Gerte) als Korsettstäbe, die immer enger zusammengeschnürt werden können und, buchstäblich die Luft raubend, an Folter gemahnen. Mit Jutesäcken wurden einst Pferdefutter, aber auch sogenannte „Kolonialwaren“ transportiert, überseeische Lebens- und Genussmittel, die auf die Zeit der Ausbeutung durch Kolonialmächte hinweisen. In solche Säcke wurden und werden immer noch Menschen gesteckt, um sie zu verprügeln oder zu foltern.
Als Setting für die Fotoaufnahmen wählte sie die Kasematten am Grazer Schloßberg. Auf die gebürtige Oststeirerin haben Graz und der Schlossberg seit ihrer Kindheit eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, wobei die historischen Bauten sie noch heute faszinieren. Das Shooting selbst in den Kasematten und am Gotischen Tor erinnert einerseits an Modefotografie, bei der eine „starke“ Protagonistin mit der Ausstrahlung einer Göttin in den Vordergrund gerückt wird, und andrerseits an Selfportraits, die explizit von der Künstlerin handeln und ihre eigene Geschichte mit den ihr widerfahrenen Beschränkungen und Einschnürungen erzählen. In ein Büßerkleid gehüllt dient sie selbst sowohl als Modell als auch als Projektionsfläche: Ihre eigene Identität verschmilzt mit jener der Trägerin des archaisch anmutenden Gewandes und lässt Assoziationen in alle Richtungen zu. Und es geht auch um das Spiel Frau sein zu dürfen
und um den Preis, den frau schon immer dafür zu bezahlen hatte und hat.
Für die Künstlerin bedingte diese Aufgabenstellung eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Historie und ihrem Wunsch nach einer Veränderung. Direkt und indirekt immer stärker herbeigesehnt, bedeutete dies auch die Abkehr von den Mythen ihrer Jugend, die durch ein eher rechtslastiges ländliches Umfeld, durch verrohte Sprache und Fremdenhass gekennzeichnet war. Zu diesem rechten Gedankengut gehörte insbesondere auch die Forderung nach „Selbstbestimmung für die Frauen“, die nur als Rückkehr zu Heim und Herd interpretiert werden konnte.
Alexandra Gschiels Erfahrungen in früher Jugend, als sie beinahe Opfer eines sexuellen Übergriffes durch einen Ausländer wurde, hinterließen auch bei ihr selbst Spuren in Form einer latenten Fremdenfeindlichkeit, gegen die sie zwar immer ankämpft, die aber dennoch von Zeit zu Zeit hochkommt und bekämpft werden muss. Was für sie wichtiger ist und worauf es der Künstlerin primär ankommt, ist Respekt. Und zwar jener Respekt, der jedem Individuum entgegen gebracht werden muss wie auch jener, den man/frau
selbst von jemandem erwartet.
In der Ausstellung wird das Kleid als Objekt zusammen mit den Fotografien gezeigt. Es ist Zeugnis dafür, dass es Alexandra Gschiel ganz klar ersichtlich um Grenzerfahrungen geht („Wie weit und heftig kann ich mich bewegen, ohne in Ohnmacht zufallen?“, „Schaffe ich es nochmals raus?“, „Ist jemand in der Nähe, der mir helfen könnte?“). Auch das stundenlange Fotoshooting (beginnend am frühen Morgen bei einer Temperatur von acht Grad) hinterließ Spuren und ermöglichte es ihr, den eigenen Körper in einer Extremsituation wie dem von der Kälte verursachten Schmerz wahrzunehmen und seine Reaktionen zu erleben.
In der zweiten Serie you can me, fünf auf Rahmen gespannten, quer im Raum platzierten Cyanotypien, steht abermals ihr Körper im Fokus und ist gleichzeitig ganz unmittelbar künstlerisches Gestaltungsmittel. Die Cyanotypie, auch als Eisenblaudruck bekannt, ist ein altes fotografisches Edeldruckverfahren mit blauen Farbtönen, die Alexandra Gschiel chemisch geringfügig verändert hat. Als Trägermaterial verwendete sie einen dünnen Baumwollstoff, der in der Dunkelkammer durch Tränken mit einer lichtempfindlichen Lösung fotosensibilisiert und getrocknet wurde. Die Belichtung des lichtempfindlich gemachten Trägers erfolgt generell unter einem Schatten werfenden Gegenstand, in diesem Falle ihrem eigenen Körper, als lebensgroßes Fotogramm. Bei einer Belichtungszeit von fünf bis zehn Minuten druckten sich Brust und Bauch im nackten Zustand in unterschiedlichsten Posen mit diversen Faltenbildungen ab, wobei die sehr langen Schatten von der tiefstehenden Sonne verursacht wurden. Im Hinblick auf die entstehenden Figurationen ist die Körperspannung des Modells entscheidend: Von ihr abhängig scheinen die abgedruckten Körperteile als kraftvoller Bizeps oder muskulöser Schenkel, die mehr oder weniger Energie gespeichert haben. Sie selbst will nach diesem erbrachten Beweis für ihre physische Anwesenheit weiter auf die Suche nach ihrer eigenen Identität begeben.
Auch im quasi neu entdeckten angrenzenden Atelier-Raum besinnt sich die gelernte Fotografin ihrer beruflichen Wurzeln und präsentiert unter dem Titel broken glasshouse grau-grüne Silbergelatine-Fragmente. In ihrer hauchdünnen Konsistenz scheinen sie wie abstrakte Bildelemente zerbrechlich zwischen Glasscheiben zu schweben, womit sie zusätzliche fotografische Potenziale künstlerisch ausloten.
Im Vorraum schließlich ist partizipative Beteiligung der Frauen angesagt: go out into the streets. Auf vervielfältigten Fotos von Protestaktionen haben die Rezipientinnen die Möglichkeit mit weißen Zetteln zu protestieren, ihre Forderungen, Wünsche und Anregungen im Hinblick auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Frauseins niederzuschreiben und diese dann im Ausstellungsraum aufzukleben, so dass eine „Halle des Protestes“ entsteht, für die auch das Video women in protest Vorbild sein kann. Alexandra Gschiel will damit Protestaktionen nicht nur in China, Russland und dem Iran, sondern überall dort, wo die gesellschaftliche Notwendigkeit besteht, anregen und unterstützen und anderen Frauen Mut machen gegen Missstände zu protestieren.

Bildrechte: Alexandra Gschiel
Textrechte: Edith Risse

Information zur Ausstellung: https://kulturingraz.mur.at/event/alexandra-gschiel-and-i/