Von Sündenböcken und Dummheit


Verschiedene Wochenzeitungen haben mich in den letzten Tagen beschäftigt, Beiträge ließen sich verknüpfen. Beim Lesen des Titelblatts der Hamburger “Zeit” war man versucht, die fragende Headline auf der Stelle laut oder fett gedruckt mit einem schnörkellosen “Jawoll, und wie!” zu beantworten. Die Frage war “Werden wir immer dümmer?”, das Titelbild zeigt eine Walnuss, als Metapher für das Gehirn. Parallel dazu wird im “Falter” ein Buch über René Girard vorgestellt. Der 2015 verstorbene französische Philosoph hat sich mit den Themen Neid, Nachahmung und Gewalt auseinandergesetzt. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Der Reihe nach: Der Walnusskern als Metapher für das Gehirn ist insofern sehr stimmig, weil sich eine Walnuss ohne Werkzeug nur schwer knacken lässt, soweit meine Hausmeistermetapher zur Öffnung des Gehirns. Allerdings hilft die Nuss- bzw. Schädelöffnung auch nicht immer, die hohle Nuss als Metapher für Hirnlosigkeit ist gängig und gefragt wie lange nicht. Das Bild mit dem wunderbar gewundenen Nusskern in halber Schale stellt also einen Idealfall dar, von einem Durchschnitt kann dabei nicht ausgegangen werden. Es gibt nachgewiesen verschiedenste Faktoren, die eine abnehmende Intelligenz begründen, verschiedene Thesen und Studien, und natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten unter den Experten. Nicht zuletzt gehören chemische Einflüsse dazu – Stoffe, die über Nahrung und Haut in den Körper dringen und dort physiologische Prozesse stören. Dass frühkindliches Hantieren mit Geräten wie Tablets und Smartphones den Nachwuchs nicht schlau und pfiffig macht ist schwer bestreitbar.

Allerdings erscheint mir die Sorge um den aktuellen Nachwuchs zu kurz gegriffen, darum möchte ich ein wenig weiter ausholen. Unterbelichtung ist ein generationsübergreifendes Projekt. Dazu passen die Erkenntnisse von René Girard. Nach seiner mimetischen Theorie geht es um das Begehren, das Menschen nach dem Begehren anderer haben, abgekürzt also um Neid. Eskalieren Konflikte, wird ein zufälliges Opfer ausgesucht und spätestens hinterher schuldig gesprochen, damit alles seine Richtigkeit hat. Das lässt Dampf ab, alles ist wieder in Ordnung. Nun drängt sich der Faktor Dummheit hinzu, wir setzen sie als Sahnehäubchen obendrauf. Unsere Gesellschaft hätte eigentlich in den letzten Jahrhunderten, zumal im letzten, einen großen Fortschritt machen können, um die Neiddebatte wenigstens einzudämmen. Das Gegenteil ist der Fall, dafür wurde die Opferfindung verfeinert und perfektioniert. Ist keines da, produzieren wir eines, aber zum Glück finden sich immer welche. Es ist bewundernswert, mit welcher Umsicht und Kreativität Werkzeuge entwickelt werden, die in jede Idylle einen Haufen künstlichen Unfrieden einfließen lassen. René Girard hat Recht. Den Kindern nun schwindende Intelligenz vorzuwerfen bedeutet nichts anderes, als uns selbst die Unfähigkeit zu beweisen, aus einem Überfluss das Beste herauszuholen. Die Dummheit zeigt sich durch tägliches Betrachten und Ausbauen des Ruins.

Abgesehen vom Zugrunderichten der Erde, worauf uns beschämenderweise die Jugend aufmerksam machen muss, schmeissen zur Zeit ein paar Hochbegabte mit Eifer das verbliebene, ohnehin schon bescheidene Benehmen mitsamt politischer und gesellschaftlicher Kultur in den Kanal. In weiten Teilen der Welt, und da möchte ein kleines deutschsprachiges Land nicht hintanstehen. Wenn die Jugend nicht zuletzt hierzulande bedingungslos der Generation geistig folgen würde, die gerade regiert, bräuchte sie keine chemischen Einflüsse, um sich in der nächsten Quizsendung einem Schwamm oder Strauch geschlagen geben zu müssen. In einem Geniestreich – der Freudsche Verschreiber lautete “Genierstreich” – wurden Dummheit und Neid gleichzeitig zelebriert, dass es nur so eine Freude war, ein Hochfest des Schildbürgertums mitten im österlichen Schaufenster. Ein kirchlicher Feiertag wurde diskutiert. Zwei Glaubensgemeinschaften hatten den Karfreitag frei. Das wurde von der Regierung gestrichen. Gleichzeitig haben sie aber in ihrer Großzügigkeit allen Menschen dieses Landes einen Feiertag zugesprochen, den sich jede/r nehmen kann, wann immer Bedarf danach ist. Aus dem eigenen Urlaubskontingent.

Ich erinnere mich an den Räuber Hotzenplotz, der wusste, dass sein Freund, der böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann, einen Küchenjungen brauchte. Er überreichte ihm den Kasperl – den er allerdings für den Seppl hielt, Näheres dazu gleich – mit den Worten “ich habe hier ein Geschenk, das ich dir verkaufen möchte”, was in etwa die Feiertagsposse widerspiegelt, wobei ich mich sofort bei Ottfried Preußler posthum entschuldigen möchte, sein großartiges Werk als Vergleich in den Abgründen politischen Schwachsinns zu benützen. Außerdem hat sich der Hotzenplotz tatsächlich gebessert und ein Wirtshaus aufgemacht, die hiesige politische Elite verbessert nach vollbrachter Arbeit lediglich den eigenen Kontostand in diversen Aufsichtsräten.

Die Verwechslung von Kasperl und Seppl passt gut dazu. Sie tauschten die Mützen, der Kasperl ist um einen Deut schlauer als der Seppl, und der ist aus dem Schlamassel gut herausgekommen. Es spielt in Österreich keine Rolle, wer in dieser Regierung welchen Hut trägt, zu ähnlich sind sie sich, nur dass der jüngere einen Deut – klüger ist nicht recht passend, nennen wir es: weniger patschert und weitaus opportunistischer ist und dem anderen alles umhängt, was stinkt und schlecht zum Image passt. Unterscheiden tun die beiden sich nämlich gar nicht. Wollen beide dasselbe. Zwischendurch gibt es schlechtes Schauspiel. Pfui, welch garstige Brüder sind in Verbindung mit dem Vizekanzler! Der Kanzler wünscht eine Abgrenzung! Und der Vizekanzler ruft mit seinen Mannen: Jawoll, Herr Kanzler, hier ist sie, die Abgrenzung! Er geht einen Schritt nach rechts zur Seite (Satire!). Und der Kanzler sagt darauf: Alles ist wieder gut, liebes Volk (keine Satire).

Bei diesem geht das teilweise auf, aber gar nicht wenige erkennen dieses Verhalten für nicht ganz gescheit und unglaubwürdig. Es bahnt sich zumindest ein raffiniertes Spiel an, das bei aller Tragödie halbwegs unterhaltsam werden könnte. Wenn nämlich ein Einäugiger einen Blinden zum Sündenbock küren wird. In den höchsten politischen Ämtern des Landes. Wenn der Einäugige nämlich kraft seiner Herkunft das wunderbare Kunststück, dass seine Partei seit langer Zeit beherrscht wie kaum sonst jemand, ein weiteres Mal vollführen wird, in einer Regierung zu sein und gleichzeitig mit dieser nichts zu tun zu haben. Im Anschluss daran, wenn der kleine Koalitionspartner endgültig die Nerven weggeschmissen haben wird und niemandem mehr fehlt, weil die momentane Kanzlerpartei das Handwerk nicht nur der Demontage eines Sozialstaats, sondern auch des Erweckens der niedrigsten Instinkte mit einer Kluppe auf der Nase beherrscht, wird diese Partei nie in einer Koalition mit den rechten Brüdern gewesen sein, welche die Distanz zu den rechtsextremen und -radikalen Gruppierungen nicht schafft. Wie auch, wenn sie selbst aus solchen besteht, was in vielen Schaufenstern zu sehen ist. Und wieder werden sie sich möglicherweise wundern, dass nicht alle dumm genug sind, um das zu glauben. Das wird ihnen einmal mehr völlig egal sein. Worum sollte sich eine Partei auch kümmern, die sich selbst im Grunde völlig aufgegeben hat, um mittels Neidschürung zu Macht zu kommen? Genau, um nichts, außer um die nächste Wahl.

Zu befürchten ist, dass die nachfolgende Generation vielleicht nicht ausreichend blöd genug sein wird, um das alles zu fressen, was jetzt verbrochen wird. Das mit der Verdummung sollte also kein rechter Ansporn für diese Regierung sein, um so weiterzumachen wie bisher. Noch dürfen die kleinen Kinder nicht wählen und es gilt, die Blödheit der jetzt Wahlberechtigten zu kalkulieren. Wer hätte gedacht, dass da noch so viel Luft nach oben ist? Freuen wir uns über den nahenden Frühling, eine Karwoche ohne Feiertag und ein Land, in dem eine Razzia in der rechtsradikalen Szene wegen des Krankenstands eines Staatsanwalts ein Jahr später als gewünscht stattgefunden hat und zufällig in die Zeit fällt, in der es wieder einmal klar wird, wie dicht die Verflechtungen von Teilen der Regierung mit dieser Szene tatsächlich sind. So blöd die nächsten Generationen möglicherweise sein werden: Gegen solche Gegner haben auch Schwamm und Strauch keine Chance.

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