Fernsehen mit Schmitzer mit Shatner: Game of Thrones


Da müssen wir jetzt durch. So sicher, wie die Kirschblüten an den Bäumen uns vom Frühling künden, so sicher weist uns das Auftauchen von Emilia Clarke und Kit Harrington in unseren YouTube-Feeds, dass es soweit ist. Am vierzehnten April blüht uns die erste Folge der letzten Staffel von Game Of Thrones, oder blüht halt zumindest jenen unter uns, die entweder überteuertes Bezahlfernsehen oder ein minimales bissl kriminelle Energie haben.

 

Der weltweite kulturelle impact wird später mal vermutlich auf der gleichen Skala gemessen werden müssen wie jener der Beatles – und im eng analogen Sinne: GoT verhält sich zu dem ganzen aufkommenden, derzeit noch um langfristig plausible Geschäftspläne ringenden System des Serienstreaming-Fernsehens genau so, wie sich Anfang der Sechziger die Beatles zur industriell jüngst erneuerten recording industry verhielten (nämlich: als zu einem Feld, das durch technologische Veränderung in Monopolisierungsk/r/ämpfe gestürzt wurde und sich noch nicht einmal auf die praktikabelsten technischen Standards geeinigt hat): yin-und-yang-eske Verschlingung, gegenseitige Stiftung bedeutungsgebender Sachzwänge zwischen den studios/platforms und artists/producers in einem noch offen Prozess, dessen Zufälle auf Jahrzehnte hinaus die Normen eines ganzen Wirtschaftszweigs präg/t/en: “Wer bezahlt wen, wofür, in welcher Höhe?” “Was ist das urheberrechtlich geschützte Produkt, was ist das bloße Epiphänomen der Produktionskette?” “Was ist, mit einem Wort, der gesellschaftliche Ort jener Unterhaltungskünstler, deren Prototyp man da augenscheinlich vor sich hat/te?” “Wie wirk/t/en Geldmaschine, Publikum und Kunst zusammen?” “Wie soll/t/en sie zusammenwirken?” “Wer darf welche Ansprüche stellen?”

 

Dass unter all den vielen zeitgenössischen Serien just diese zum großen Branchenzugpferd (bzw. -drachen) werden konnte – also: dass die Serienmacher von GoT überhaupt mal in die Situation kamen, Budgets, um die anderswo opulente feature films hergestellt werden, für einzelne Fernsehserienfolgen zu verbraten – liegt neben nackten Zufällen argumentierbar auch an einer Eigenheit des Materials. GoT ist im Kern vollends desillusionierte High Fantasy und damit offen für zwei unterschiedliche Rezeptionsmodi mit distinkten Interpretationsspielräumen – Desillusion UND Fantasy eben; das vergrößert Kundenkreis enorm und ermöglicht dem Material, als alleiniges Kommunikationsanbahnungsvehikel zwischen Leuten zu dienen, die sonst nix gemeinsam haben.

 

Entweder, wir beschauen uns das Spektakel identifikatorisch. Wir finden dann eine Welt metzelnder Ritter und intriganter Hofschranzen, flatternder Drachen und wackelnder Titten nicht nur dieser Schauwerte wegen super, und nicht einmal bloß, weil die so nur denkbar sind vor dem Hintergrund einer Welt, in welcher Fortschritt und Aufklärung fundamental desavouiert sind. Das wär’ schon schlimm genug, ist aber auch bei Tolkien (und selbst seinem ansonsten so scharfen Kritiker Moorcook) ein unausweichliches Ingredienz der Gattung. Nein – was GoT (und die zugrundeliegende Buchserie A Song of Ice and Fire) von der sonstigen Fantasy abhebt, ist ja, dass zumindest dem Anspruch nach auch die mythischen Selbstverständlichkeiten der Heldenreise aufgekündigt sind: jede*r kann sterben; es gibt kein Schicksal, keine Bestimmung, keine Belohnung für das narrativ triftige Verhalten von Figuren [freilich ist diese Behauptung reichlich oberflächlich und im Nachhinein besehen nur dazu bestimmt, die ersten zwei Bände bzw. Serienstaffeln mit ordentlich Ungewissheit zu würzen … aber sie war indeed neu und entfaltete ihre Wirkung.] Woran wir uns in diesem Fall also begeilen, ist genau nicht bloß der erhabene Schauwert der gruselig vorsintflutlichen Welt und der Abwehr ihrer Zumutungen durch den indomitable human spirit – im Gegenteil: Da wir’s uns in dieser Weise ansehen, bejubeln wir in Game of Thrones die Zukunft nach George Orwell – “If you want a vision of the future, imagine a boot stamping on a human face – forever.” – als ihre Komplizen.

 

Oder, mit Brecht, wir glotzen “nicht so romantisch”, und schauen uns das Spektakel so distanziert an, wie wir das angesichts all der hübschen halbnackten Menschen eben hinbekommen. Dann erscheint es uns als geeignete, wenn auch ein bissl sehr elaboriert aufgezogene, Parabel auf den tatsächlich zuhandenen weltpolitischen Scheißdreck – ca. so hier: “Mit internen Intrigen beschäftigte, mehr oder weniger degenerierte Eliten ignorieren die doppelte Bedrohung durch einerseits eine religiös grundierte Massenbewegung der Sklaven vom Ende der Welt, die über neuartige militärische Mittel verfügen, und durch andererseits den motherfucking Klimawandel. Sie ignorieren diese beiden Bedrohungen so lange, bis ihnen all ihr Intrigieren nix mehr nutzt und sie alle weg vom Fenster sind, und mit ihnen jedes letzte Bisschen Vorschein von Zivilisation.” (Dass in unserem Gleichnis der reale Herr Abu-Bakr al Bagdadi von Prinzessin Lillifee, The Mother Of Dragons, gespielt wird, und dass am Ende dann doch wieder, un-parabolisch, der Tolkien’sche Heldenkitsch greifen wird, wenn dann nur noch, wie uns der Titel der Buchserie nahelegt, “Ice” und “Fire” übrig geblieben sein werden – geschenkt. Für den Zweck der Mustererkennung erstmal reicht’s.)

 

Die ästhetische Qualität der Darbietung und die schiere Größe der Maschine GoT sind pflichtschuldigst zur Kenntnis zu nehmen; ebenso, dass der unterhaltungsindustrielle Dreiakt-Plot-Apparat unterm ökonomisch-technischen Veränderungsdruck namens HBO bzw. Netflix just auch noch die Störung von Plot und Erzählstruktur selbst zum Oberflächenornament machen musste/konnte, ohne dabei jedoch den Vollzug der Bespaßungsfunktion in Frage zu stellen …

 

Aber wir dürfen zugleich bedauern, dass das, was der Markt, also “der Diskurs als Konsensform” (Zitat des Fascho-Arschs Götz Kubitschek), also unser kollektives Unbewusstes derzeit als Eskapismus hervorbringt, eine derartig brutal-dröge Angelegenheit sein muss. Wo doch als escape aus dem zuhandenen Stacheldrahtregress in allen Ländern irgendwas mit Blumen, und Schmetterlingen, oder von mir aus Raumschiffen viel mehr hermachen würde, nicht wahr?; irgendwas, das nicht der strategisch gesetzten Uneindeutigkeit bedürfte, um erträglich zu werden; irgendwas mit … ich weiß nicht … Malen wir’s uns aus, irgendwas …

 

… mit einem Boot … nah einem Flüsschen
und Mandarinenbäumchen … marmeladene Himmel …

und irgendwer ruft uns … wir antworten langsam …

ein Mädchen … kaleidoskoperne Augen …

 

Zellophanblumen … of yellow and green
Towering … over your head.
Look for the girl … with the sun in her eyes
And she’s gone.

 

Lucy in the sky with diamonds
Lucy in the sky with diamonds
Lucy in the sky with diamonds …

 

Follow her down … to a bridge by the fountain
Where rocking horse people … eat marshmallow pies.
Everyone smiles … as you drift past the flowers
That grow so incredibly high

 

 

… Womit wir, gentle reader, die Kurve zu einem erfreulicheren Stand der Dinge und Produktivkräfte auch wieder gekriegt hätten, bei aller gleichbleibenden Veränderlichkeit der Industriestandards für Kunst und kultur. Und da kaum zu vermeiden sein wird, kommenden Sonntag (mit, wie gesagt, überteuertem Bezahlfernsehen oder krimineller Energie) Game of Thrones zu schauen, und auch noch mitzufiebern, obwohl ja der ideologische Kern der Sache so offensichtlich zu Tage liegt … so mag uns als Trost der Einfall dienen, während des Vorspanns statt des bekannt-gewalttätigen Streicherchors lieber Lucy In The Sky With Diamonds laufen zu lassen – fortschrittsoptimistisch statt pessimistisch, und zwar, der größeren Flashigkeit halber, in der beliebten Version von Captain Kirk persönlich, gegen dessen U.S.S. Enterprise die Drachen der Daenarys Targaryen halbwegs verlässlich abstinken würden …

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