Und noch ein Take zu Dune II


Der zweite Teil von Denis Villeneuves Verfilmung des Romans “Dune” von Frank Herbert (“Der Wüstenplanet”, deutsch von Ronald M. Hahn) ist in den Kinos. Eh schon eine Zeit lang. Die kanonischen Anekdoten zu Rezeptions- und Verfilmungsgeschichte von “Dune” und den fünf weiteren Bänden, aus denen der ursprüngliche Zyklus besteht, sie müssen hier nicht alle wiedergekäut werden, aber: vollständigkeitshalber: dies ist der vierte Anlauf, die Handlung der ’65 erschienenen SciFi-Parabel auf die Erdöl-Kolonialismen jener Jahre auf einen Bildschirm zu bekommen. Der erste, der von Alejandro Jodorowsky, scheiterte schon in der Präproduktion, aber scheiterte auf grandiose und für Hollywood fruchtbare Weise (sowohl “Alien” als auch “Star Wars” verdanken sich arguably in ihrer jetzigen Gestalt jenem Impuls). Der zweite war das bekannt glücklose David-Lynch-Vehikel, auf dessen Höhepunkt es Sting in seiner goldenen Unterhose zu bestaunen gab. Das dritte war eine erzdumpfe, aber buchstabengetreue ca. deutsch-kanadische Fernsehserie auf Grundlage von “Dune”, “Dune Messiah” und “Children of Dune”, über die mehr nicht zu sagen ist, als dass es sie eben gab. Und jetzt also Villeneuve. Band eins der Reihe hat er in zwei fetten Filmen durchmessen, und schickt sich anscheinend an, weiterzumachen. Eine Serie von drei, vier, fünf Filmen zeichnet sich ab, die …

[SPOILER, ihr kindischen Lollies!]

… entweder an dem Punkt endet, wo der aufgeklärt-despotische SciFi-Erdölmetapher-Kolonialherr (oder, je nach Lesart, der SciFi-Petrostaats-Hitler) sich buchstäblich in einen SciFi-Erdölmetapher-Lindwurm verwandelt, seine Menschlichkeit verliert und dabei sich und seinen Untergebenen erfolgreich einredet, dieses geschehe in Erfüllung eines höheren Plans, den eben nur der Führer sehe; oder mit der Geschichte davon, wie der galaktische Polizeistaat dieses Herrn Wurm von innen her nicht auszuhebeln sei.

Will andeuten: eine Wirklichkeit, der gerade diese filmischen Metaphern angemessen sind, erweist sich insofern als indiskutabel, unzivilisiert, obszön. Tatsächlich ist der Film, zu unserem großen Unglück, der Welt angemessen, in der wir leben – ist ihr angemessen, und wird zugleich der Romanvorlage gerecht, sowohl was die bloße Bildwelt betrifft, als auch in Hinblick auf die filmisch schwer lösbare Erzählvorgabe, in einem dicken, fett aufgetragenen Heldenepos davon zu handeln, dass sowohl die Helden als auch ihre Epen doof, glücks- und menschenfeindlich seien. So beginnt der Film z. B. mit dem Verbrennen eines Leichenbergs, den die “böse” Fraktion im kolonialen Machtkampf, Haus Harkonnen, angehäuft hat, und er endet mit einem fast identischen Leichenberg, den aber diesmal die “guten” Atreides- und Fremen-Truppen auf ihrem Siegeszug hinterließen. Dazwischen – in etwas, dass wir ein “bildgewaltiges Spektakel” nennen müssen, weil’s halt eins ist – werden uns zweierlei Faschismen im Widerstreit präsentiert.

Einmal, im Fall der Harkonnens, schauen wir von außen drauf und es ist eindeutig, womit wir es zu tun haben. Faschos als Märchenmonster, wie sie – gegen selbst die technokratische Sachzwang-Logik der Kriegführung – stets verlässlich das “Böse” tun: “Vernichtet sie alle!” (… als wüssten wir nicht seit spätestens Arendts Eichmann-Buch, dass es da keiner feurigen, unvernünftigen Aufwallung bedarf). Ums andere Mal, mit den Atreides, also zunächst Paul und seiner Mutter Jessica, zeigt uns das Werk, wie ein charismatischer Führer einen (heißt so!) Djihad entfacht – und es verführt uns unterwegs zum Einverständnis mit seiner vorscheinlich “antiimperialistischen” Ideologie.

Unterlaufen wird die didaktische Gegenüberstellung dadurch, dass in den Film ein paar Anzeichen eingestreut sind, es sei der Gehalt der religiösen Manipulation, der Inhalt der messianischen Offenbarung, “echt”, dh. wir hätten es nicht nur mit selbsterfüllten Prophezeiungen und Massenpsychologie zu tun. Und: als hoch budgetiertes Massenprodukt, das als solches funktionieren, also identifikatorisches Sehen ermöglichen muss, um das Investitionsziel zu erreichen, braucht “Dune” selbst dann noch einen Helden, dessen Action-moves die doofen Vierzehnjährigen cool finden können, wenn der Gehalt des Films just diese Coolness entwertet. (Der Verfasser dieser Zeilen darf so abschätzig reden, er war selber ein doofer Vierzehnjähriger, und er ist es, genau besehen, auch mit seinen 45 Jahren noch.) So ist der Umstand, dass der nominelle Held, Paul Atreides, in Fakt und Wirklichkeit ein massenmörderischer Oarsch sei, der seinem Vis-a-vis, Feyd-Rautha Harkonnen, in nichts nachsteht, nicht und nicht systemisch darstellbar – sondern nur vermittels der Beziehung zu seiner Geliebten Chani, also emotional.

“Dune” muss zwei einander ausschließende Impulse unter einen Hut bekommen: einerseits die Denunziation der “großen Männer” der Historie und der Strukturen des (Weltraum-)Faschismus; andererseits das bei-der-Stange-Halten der zurecht unterhaltungsbedürftigen Ticketkäufer*innen, die – Alltag ist anstrengend genug – im Kino v. a. schönen Menschen mit Schießgewehren und Schwertern bei jener Ballett-Darbietung zusehen wollen, die wir “Action” nennen. Diese zwei gegenläufigen Impulse laufen notgedrungen darauf hinaus, dass wir im Endeffekt zusehen, wie cool so ein ca. (Weltraum-)Tschetnik ist, wenn er durch den Karst hüpft. Der Unterschied von “schaut held*innenhaft aus, ist aber blöd” und “schaut held*innenhaft aus, und fertig” bleibt schwer fasslich.

Die Distanz zwischen Emphase und Wirklichkeit, die in Herbert‘s Buch gut abgebildet ist, wäre im Film nur um den Preis durchzuhalten, dass das Ganze “keinen Spaß mehr machen” würde, also verlässlich kein Geld einspielte und aus dem Erinnerungsraum dessen, was man Popkultur nennt, rausfiele: Z. B. könnten wir den ganzen langen Abspann über die Großaufnahme von dem Gesicht eines der Soldaten ansehen müssen, die an den Leichenverbrennungen beteiligt waren, wie er hemmungslos über seine Rolle im “großen Plan” weint und schreit und schluchzt … Oder der Film zeigt die Actionsequenzen alle einfach nicht, und ersetzt sie durch Footage der halb-kostümierten Schauspieler, die bloß in die Kamera erzählen, was sie an dieser Stelle für Kampf-Kunststücke aufgeführt haben würden; und zwischendurch liest jemand Stückchen aus Texten von Carl Schmitt und Ernst Jünger vor … Oder die ganze Gewalt halt einfach nicht sexy machen, sondern ausschließlich Leute zeigen, die elendiglich verrecken (“Come and see” hat das gut hinbekommen).

Villeneuve macht alles dieses natürlich nicht, sondern hat einen Film produziert, der wirklich super aussieht. Das ist nachvollziehbar und muss wohl gerade so sein. Gleichwohl darf ich mir eine Welt wünschen, in der das super aussehende, künstlerisch durchdachte Inszenieren genozidaler Gewalt gerade nicht Teil dessen ist, was nachvollziehbar ist und wohl gerade so sein muss.

Wenn denn Villeneuve sein Programm in Form und Umfang tatsächlich durchhält und weitermacht, immer weitermacht (und das muss jetzt! passieren, in den nächsten wenigen Jahren, wenn’s überhaupt passieren soll, denn alle die übermenschlich schönen Schauspieler*innen, die da versammelt sind – Zandaya! Timothée Chalamet! Florence Pugh! Anya Taylor-Joy! – sie haben ihr jeweiliges Ablaufdatum, bzw. es verändern sich zumindest die Gesichter mit den Jahren), dann stellt sich spätestens beim übernächsten Film die Frage, wie die ganz oben erwähnte Transformation des Herrschers in jenen Mensch-Wurm-Hybrid funktionieren soll: Erzählökonomie würden gebieten, dass nicht erst, wie in den Büchern, der Sohn des siegreichen Weltraum-Junta-Bosses Paul sich in eine monströse Karikatur der Macht=selbst verwandelt, sondern dass sich das Zerstörungswerk des SciFi-Erdöls, das zugleich ein SciFi-Kokain ist, gleich direkt an der Physiognomie von Paul Atreides himself (Chalamet) vollzieht.

Der fleischgewordene Hobbes’sche Narco-State-Leviathan, den Chalamet in so einem Fall zu spielen bekäme: er hat im (ich glaube mich zu erinnern) vierten “Dune”-Buch einen Monolog, wo er über das kompositorische Kalkül von Johann Sebastian Bach schwadroniert, und über die Strategien von Hitlers Panzerkrieg an der Ostfront. DAS wäre eine Szene … in der gebotenen Breite, z. B. mit der bekannten Cellosuite Nr. 1 unterlegt … die gelehrten Exkurse aus dem ruinierten Mund, nein, Maul des von seinen SciFi-Erdöl-Sachzwängen zum Wurm zugerichteten Herrschers: …

… Darauf lässt sich’s warten. Das versöhnt uns dann nicht ganz, aber fast, mit der Ambivalenz zwischen der Ideologie und ihrer Kritik, wie sie auch und gerade im besten Stück Spektakelkino seit Langem wirkt.

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