Schule des Lebens


Was soll aus unserer Jugend nur werden? Große Sorgen bereitet das Virus seit knapp einem Jahr, und abgesehen davon, dass die Jugend – damit gemeint ist die gesamte SchülerInnenschaft – in der Prioritätenliste eher weiter unten angesiedelt ist, dreht sich die Sorge vor allem darum, wie Prüfungen, Schularbeiten und Abschlüsse bewerkstelligt werden können. Der Alltag? Schule in echt? Geschenkt.

Non scholae, sed vitae discimus, wie wäre es, wenn wir die Geschichte einmal umdrehen und schauen, wie es wäre, wenn wir auf die Schule umlegten, was im echten Leben passiert? Los geht’s. Die Pandemie erreichte das Land mit seinen Bergen und Flachheiten dazwischen im zweiten Semester vorigen Jahres. Niemand wusste genau, wozu dieses Virus in der Lage sein würde. Fast alle hatten und haben Verständnis dafür, dass in einer solchen Situation nicht alles richtig gemacht werden kann, Fehler passieren. Diese zuzugeben wäre kein Unfähigkeitsgeständnis, sondern lediglich ein richtiger Zugang zu Dingen, die erst gelernt werden müssen. Aus Fehlern wären brauchbare Erkenntnisse zu lukrieren. Ein Lockdown hat die Ansteckungszahlen nicht wirklich überraschend nach unten gehen lassen. Dann war Sommer. Für die Jugend Ferien, für viele andere offenbar auch. Die Jugend braucht den Sommer, um für einige Zeit abschalten zu können, allerdings können sie Gelerntes in dieser Zeit nicht in den Kanal schütten, da sie ihr nächstes Schuljahr am erarbeiteten Wissen weiter aufbauen müssen.

Völlig logisch für alle, die in der Lage sind, aus Erfahrungen zu lernen, schnellten die Zahlen der Ansteckungen wieder nach oben, da wir genau dort weitergemacht haben, wo wir zu Beginn des Sommersemesters 2020, vor dem Lockdown, aufgehört haben, mit dem feinen Unterschied, dass bereits gewusst wurde, wohin es führen wird. Es ist schwierig, stellvertretend für SchülerInnen zu sprechen, das steht niemandem zu, aber wäre es an einem sonnigen Tag nach einer verhauten Schularbeit nicht ein interessantes Experiment, als Reaktion darauf nicht das Nichtgenügend zu akzeptieren, sondern eine Pressekonferenz abzuhalten und beispielsweise das schöne Wetter als Grund für die Note verantwortlich zu machen mit dem Argument, Bewegung im Freien und damit die physische Gesundheit als wichtiger erachtet zu haben? Das vorhergehende Schuljahr, aus dessen Erlerntem oder eben nicht Erlernten die negative Note resultiert, könnte in Abrede gestellt werden, es war ja kaum Unterricht. War da überhaupt eines, ein Sommersemester, und wenn, welches? Angewandte Politik, ein neuer Unterrichtsgegenstand. Zum Schifahren dürfen auch alle auf den Berg. Überhaupt sollten sich SchülerInnen in Pressekonferenzen melden, sie hätten bestimmt mehr zu erzählen, als wir es aus den Plexiglasrednerpultshows gewohnt sind, aber es fragt sie niemand.

Wahrscheinlich wird dieses Konzept nicht aufgehen, aber es gibt brandaktuell ein Beispiel, das unsere Jugend hoffen lassen kann. Sollten sie – und das werden sie mit Sicherheit früher oder später – beurteilt werden, besteht die Möglichkeit zum Bestehen von Klausuren und Prüfungen durch völlige Blindheit oder Ignoranz – oder beidem – des Lehrpersonals, die Arbeiten nicht länger als zwei oder drei Minuten zu überfliegen. Mit etwas Glück, Frechheit, unangebrachtem Selbstbewusstsein und der Selbstverständlichkeit eines Bulldozers ist sogar ein Ministerposten in Aussicht, wenn nur die richtigen Leute den einen oder anderen Weg freisprengen, das Parteibuch wird es richten. Für eine Zulassung zur Matura sollte in einer VWA/vorwissenschaftlichen Arbeit zum Beispiel über klimatische Entwicklungen im eurasischen Raum gut und gerne der kaukasische Wetterbericht ausreichen, übersetzt von einer Maschine und mit ein paar lustigen Saunawitzen garniert. Das zum Beispiel wird sich unsere Jugend sehr gerne merken, dabei wollte sie das wahrscheinlich gar nicht lernen.

Es fühlt sich dramatisch an, wenn aus einer gerade einmal durchschnittlichen Performance aufgrund gerade einmal durchschnittlicher Fähigkeiten nur der eine, einzige, traurige Schluss gezogen wird, dass der gesamte Rest, diesfalls unsere Jugend, die uns eigentlich heilig sein muss, zu noch weniger in der Lage zu sein eingeschätzt wird. Diese Unverschämtheiten werden täglich serviert. Grundsätzlich ist jedem Menschen die Fähigkeit zuzutrauen, richtige Schlüsse ziehen zu können, nirgendwo anders aber ist es möglich außer in der Politik, sämtliche vernünftigen Verhaltensmuster außer Kraft zu setzen und damit zu spekulieren, dass die Rechnung trotzdem aufgeht – geschuldet dem Umstand, dass außer Umfragewerten, der nächsten Fressekonferenz, wobei es sich durchaus nicht um einen Tippfehler handelt, und einem nächsten Wahlergebnis und den dafür erforderlichen Marketingstrategien genau überhaupt nichts mehr von Belang ist. Auch das wird sich die Jugend merken und sich und uns daran erinnern.

Weiters haben wir in unserem Land eine große katholische Tradition neben allgemein gültigen Menschenrechten: beide nützen Menschen, die im Dreck frieren, gar nichts. Kinder und Jugendliche werden im Stich gelassen, eine neiderfüllte und fremdenfeindliche Wählerschaft, die vor einiger Zeit günstig abzugeben war und mit Freude von einer Partei angenommen wurde, die österreichisch-freiheitliche und damit lupenrein fremdenfeindliche Haltungen als in der Mitte verortet, angenommen wurde, weil eine rechtsrechte Traumfabrik durch ein Paar saufende und phantasierende Witzbolde zum Glück für das Land zerbrochen ist, will warm und bei Laune gehalten werden. Geschenkten Gäulen schaut man nicht ins Maul, man redet ihnen danach, Hauptsache die Umfragewerte stimmen. Auch diese Lektion ist zweifelhaft, die Jugend dieses Landes hat diese Kälte zur Kenntnis genommen, ob sie sie auch für gut befindet, ist fraglich. Eine Note für diese Leistung, egal ob im klassischen Religions- oder im Ethikunterricht, sähe nicht gut aus, vorbildlich werden solche Verfehlungen zwar nicht gebeichtet, aber fein säuberlich weggebetet. Im Parlament. Stellt sich die Frage, wer wen in Anbetracht einer solchen menschenverachtenden Haltung überhaupt noch katholisch machen möchte. Beichte ist nicht nötig – Verachtung unseren Nächsten gegenüber hat sich bereits in der Mitte etabliert.

In solchen Fällen bemüßigt sich die Partei der seltsam gelagerten Mitte – rein geometrisch ein römisches Nichtgenügend – bitteschön das große Gesamte zu sehen, und hier bedarf es einer dringenden Antwort: wir tun das! Wir sehen das Gesamte, auch Kinder und Jugendliche, und die Erklärung, dass die Rettung oder Evakuierung nichts bringe, lässt sich einfach widerlegen: es bringt einem Kind sehr viel, wenn es ein Dach über dem Kopf hat und nicht von Ratten umgeben in kaltem Wasser stehen muss, so einfach ist das, aber wie schon gesagt, die Umfragen. Farblich tauchte in grün ein zarter Hoffnungsschimmer auf ein Korrektiv auf. Diese Hoffnung zerbirst mit jedem Tag ein bisschen mehr.

Schließlich stellen wir in Frage, warum immer noch ständig von Kindern geredet wird, wenn die Schule thematisiert wird: Kinder zählen durchaus zur Jugend, während Jugendliche längst keine Kinder mehr sind, diese Sorglosigkeit im Umgang mit diesen Begriffen lässt uns auf das grundsätzliche Desinteresse an der gesamten jungen Generation schließen und vielmehr noch auf die Geringschätzung, die ihr entgegengebracht wird. Ein letzter Vergleich: wären Schulen nachweislich Brandherde des Coronavirus, wären sie bereits doppelt geschlossen und versiegelt. In den Bergen herrschen andere Gesetze. Nach dem Höhepunkt an Verantwortungslosigkeit zu Beginn der ersten Welle in Ischgl sind die Bergmenschen ein weiteres Mal Protagonisten unterdurchschnittlicher Lernfähigkeit, es deutet einiges darauf hin, als würde die Ausbreitung des veränderten Virus fröhlich unter den Gipfelkreuzen ihren Ausgang nehmen. Nicht fürs Leben lernen wir, sondern für die Geldtasche. Die Epoche des Opportunismus glänzt wie frisch gefallener Schnee und als Diplomarbeiten getarnte Idiotentexte. Gebt der Jugend für diese Phase einen Freibrief, sie lernt mehr über das Leben als in sämtlichen Lehrplänen steht. Ich entschuldige mich stellvertretend bei ihr.

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