Fernsehen mit Schmitzer mit beispielsweise Arthur Harris: Zeit im Bild 2, Kulturzeit, …


Wir denken uns ein paar Kraniche, die sich gemeinsam im Besitz eines Fernsehempfangsgeräts befinden. Nun stellen wir uns den Abend über dem Schilf am Neusiedler See vor, und das Surren der Mücken, und den Gatschgeruch von der Böschung her, und wie der Wind den Gatschgeruch immer wieder mal mit sich fortträgt – nicht ganz vorhersagbar, und nicht immer, aber doch regelmäßig genug, dass man den Gestank auf Dauer irgendwie aushält und fast heimelig zu finden lernen kann, wenn man denn möchte. Es handelt sich hierbei um eine ausgesprochen fein gesponnene Metapher.

 

Die Kraniche jedenfalls, da die Sonne sich senkt, sie glotzen und brüten, glotzen und brüten. Was sie glotzen, sind Programme des Österreichischen Rundfunks. Der Fernseher, den sie sich gemeinsam angeschafft haben, er steht auf einem biedermeierlichen Stockerl, welches im Schlick stakt und vor sich hin verrottet. Der Empfang ist leidlich gut, nur ein bisserl blaustichig, aber das gibt eh gute Kontraste im Zwielicht über dem See. Die Kraniche glotzen und brüten, brüten und glotzen, und gelegentlich klappern sie glotzend mit ihren langen Kranichschnäbeln in den Mückenhimmel.

 

Zuerst sehen sie, also wir, auf diesem Fernseher die “Zeit im Bild 2” vom 23. April 2019 – das war jene Sendung, wo Harald Vilimsky, EU-Spitzenkandidat seiner Partei, den Interviewer Armin Wolf vor laufender Kamera wissen ließ, der Stil seiner Fragen werde “nicht ohne Folgen bleiben [können]”. Dann ist Werbung (schaut aus, als wär’ die aus der Vorweihnachtszeit 2016), und nach der Werbung kommt der Kulturmontag vom 06. Mai 2019, wo sich die arme Clarissa Stadler namens des Rundfunks von ausgerechnet Jan Böhmermann distanzieren muss, bloß, weil der zuvor zutreffenderweise erzählt hat, es habe in Österreich derzeit Faschos in Regierungsämtern, das sei Oarsch, und es wäre seit den Tagen Thomas Bernhards die Anzahl der Debilen nichts als gewachsen (und freilich drückt er das alles viel gewählter aus, der arrogante Piefke). Hintendrauf flimmert eine Folge “Columbo” durchs Schilf, ganz, wie es früher mal war.

 

Nun ist es in der wirklichen Wirklichkeit ja so, dass jene erwähnten, zeitlich disparaten Stückeln ORF-Programm nur deshalb direkt hintereinander laufen können, weil es sich hier um einen äußerst unernsten und rasch zusammengeschusterten Text handelt. Innerhalb der fiktionalen Bubble dieses solchen Texts aber befindet sich das Land, und mit ihm der Neusiedler See, und mit diesem wiederum die Kranichkolonie da, in so etwas Ähnlichem wie einem Time-Loop … nein, stimmt nicht, es ist kein Loop, es ist mehr so ein Moment, wo das Gewebe der Zeit dünn und brüchig ist. Fast, dass du durch die Zeit hindurchschauen und die perspektivischen Hilfslinien dahinter sehen kannst, wenn du gegen’s Licht in den flach dunstigen Himmel blinzelst, so, wie es die Kraniche jetzt tun … will sagen: Alle Zeiten, nein, nicht alle Zeiten, aber doch mehrere Momente fallen da in eins unter der Dunstglocke, die der Himmel über Österreich ist; und mit ihnen sind nicht alle, aber doch einige ORF-Programme ebenfalls eins geworden. Geschichte reimt sich.

 

Von irgendeinem Rascheln aufgestört, fliegen die Kraniche davon. Sie streben dem Horizont zu. Werden sie gegen die Dunstglockenwand knallen, die den Himmel über dem Land zusammenhält, und dann leblos zu Boden fallen, von der Schwerkraft der sehr geehrten Voralpenlandschaft bis zum Ersticken in den braunen Bodensatz gedrückt wie so viele andere Textsubkjekte vor ihnen? Oder werden sie die Bubble durchstoßen und dabei die Souveränität unserer Außengrenzen zerstören? Wir sehen es nicht, denn sie verlieren sich in der Ferne. Ihre zurückgelassenen Eier frisst im Lauf der kommenden zwei Tage zitzerlweis’ der Fischotter. Der Fernseher läuft weiter, durch die Nacht und das Morgendämmern und den ganzen folgenden Tag weiter, und woher die Elektrizität kommt – auf welche waghalsige Weise das Teil verkabelt ist – fragen wir uns erst gar nicht.

 

So, wie sie da auf den wackeligen Biedermeierbeinchen ihres wackeligen Fernsehtischerls steht, hat diese alte Röhrenglotze durchaus das Zeug, ein möglicherweise bald vorbeischwimmendes Liebespärchen vermittels eines Stromschlages zu killen – muss nur eins der Tischerlbeinchen im Gatsch hinreichend vermodert sein, um von der achtlosen Berührung eines Schwimmerfußes umgeworfen zu werden. Auch dies ist eine ausgesprochen fein gesponnene Metapher, und wir wissen immer noch nicht, woher das Gerät den Strom ursprünglich nimmt.

 

… genauso gut nun, wie wir uns den solchen Unfalltod des solchen Schwimmer*innenpaares in den wirklich sprichwörtlichen Binsen vorstellen können – als Nebenereignis, wenn ein altes Österreichisches Fernsehen in dem braunen Gatsch kaputt- und untergeht, der ausgebreitet ist unter der Oberfläche eines heimlich-heimatlichen Nest- und Nistgeheges (das aber niemand sieht, weil niemand mehr zusieht, nichtwahr) …

 

… genauso gut können wir uns auch, im Sinne eines feierlichen Chorgesangs aus jenen Binsen, die da stehen, vorstellen, dass inzwischen alles das hier fürn Oarsch ist … Wir können dem Verschwinden der Kraniche zusehen; oder wir können das Stillleben der hinnichen Eier im hinnichen Neste kontemplieren, unter Röhrenglotzen-Röhrenstrahlung; oder wir können das Kräuseln des Neusiedler Seewassers anschauen, und uns dabei besinnlich vorkommen, höchst gleichnissig können wir das finden, wenn wir uns dazu denken, dass inzwischen eh alles fürn Oarsch ist:

 

Die ganze fein gesponnen metaphorische Kritik fürn Oarsch, und der Diskurs, und das komplex-empörte Aufplatteln von faschistoiden Denk- und Sprechmustern regierungsverantwortlicher ZeitgenossInnen in Zeitungen und Blogs und Kunstgewerbe; für den Oarsch auch das öffentliche Erstaunen darüber, welches Tabu nicht jeweils jetzt schon wieder gebrochen wurde … So können wir im leeren Himmel überm wackeligen Fernsehtischerl überm spiegeligen See über dem Gatsch über dem Erdengrund erkennen, dass es nicht mehr darum geht, ein Gespräch mit dem politischen Gegner zu suchen. Wir brauchen nicht mehr hervorkitzeln, was Norbert Steger eigentlich meint, oder ausbreiten, warum es ein Schaas ist, wenn Odin Wiesinger in den Kulturbeirat von Oberösterreich bestellt werden soll, oder oder oder oder; es geht nicht um bessere Argumente gegen die Verstaatlichung der Rechtsberatung für Asylsuchende, und es geht ganz sicher nicht darum, mit den Macherinnen und Machern von “Alles Roger!” und ähnlichen Hervorbringungen auszudiskutieren, ob sie wissen, was sie da in ihre Drecksblattln in letzter Konsequenz hineinschreiben.

 

Es handelt sich nur noch, wie wir da angesichts der leeren Himmel gleichnis-gatschig spüren, um eine Machtfrage. Die Faschisten übernehmen den Laden, und die Normalität, die wir noch simulieren, simulieren wir eben nur noch, und nur wir linksliberalen, abgesicherten können sie überhaupt noch simulieren. Schon müssen im Lande Kinder, wofern sie nur der falschen Ethnie angehören, in Angst vor der Polizei leben; schon können die frustrierten Einzelkämpferfaschos, ungefähr den Freikorps-Spinnern der Weimarer Republik gleich, ihre Vernichtungsfantasien unter Klarnamen ganz konsequenzfrei im Netz verbreiten; schon bekommt die Verwaltung militärische Aufpasser … Es gilt nicht mehr, etwelcher Anfänge zu wehren. Womit wir es zu tun haben, ist ein Machtkampf.

 

… so summen die Binsen im See, so schmatzt der Fischotter … oder was ich halt schreiben muss, damit’s verlässlich unter Kunst läuft.

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