Corona ist ein Arschloch


Corona ist ein Arschloch“* antwortet mir der Arzt, nachdem ich meine Symptome beschrieben habe und ich frage mich kurz, ob er damit die Autorin Margarete Stokowski* zitiert.

Fünf Wochen nach meiner zweiten Covid-Erkrankung bin ich immer noch kurzatmig. Der Aufzug der Arztpraxis ist kaputt. Als ich den 3. Stock endlich erreiche, könnte man den Eindruck bekommen, ich hätte einen Sprint hingelegt. Ich mache seit mehreren Jahren halbwegs regelmäßig Sport, bin also im „Normalzustand“ relativ fit.

Zwanzig Minuten später wird in einem separaten Raum ein EKG gemacht, die Sprechstundenhilfe spricht mich an, ich könne die Maske auch absetzen. Erst da fällt mir auf, dass ich wohl immer noch „komisch“ atme.

Weitere Symptome sind: Zeitweise Atemnot, Pulsfrequenzerhöhung (auch im Ruhezustand) und Konzentrationsschwierigkeiten.

Die Beeinträchtigung meiner „geistigen Kapazitäten“ macht mir Sorgen. Ich habe Konzentrationsschwierigkeiten und es fällt mir schwer, mich zu fokussieren. Ich mache auch bei relativ stupiden Aufgaben viele Fehler. Auch in meinen Textnachrichten ist die Fehlerquote steil angestiegen. Die kurze Rückkehr in den Arbeitsalltag endet damit, dass ich am 5. Tag bereits morgens so erschöpft bin, dass ich kaum aufstehen kann, von Arbeiten ganz zu schweigen. Die Methode, sich am Riemen zu reißen, hatte also nur so semigut funktioniert. Im Rückblick fällt mir auf, dass ich versucht hatte mich „normal“ zu bewegen, also relativ schnell. (Mein Tipp an andere Rekonvaleszent*innen ist, den Pantoffelschlurfgang vorerst lieber beizubehalten.)

Der Arzt sagt „Entweder Post-Covid oder Long-Covid“ und gibt mir mehrere Überweisungen: Pulmologie, Neurologie, Kardiologie, Radiologie. Er weist mich darauf hin, „das Röntgen der Lunge ist eine Strahlenbelastung, vielleicht wollen sie damit dann doch noch warten“.

Letztlich kann man also zum jetzigen Zeitpunkt nur sagen, dass ich irgendwie leistungseingeschränkt bin und dass unklar ist, ob es temporär oder dauerhaft ist.

Nach meiner ersten Covid-Erkrankung dauerte es ebenfalls Wochen, bis ich wieder halbwegs hergestellt war. Drei Wochen konnte ich das Bett kaum verlassen. Danach hatte ich auf der Straße oft Kreislaufprobleme, Angst umzufallen und so ein Bizzeln im Kopf (klingt wie ein Filmtitel von Til Schweiger). Oder hatte ich auch damals schon Konzentrationsschwierigkeiten?

Nach ungefähr zwei Monaten war es dann halbwegs vorbei oder war auch im Stress des Arbeitsalltags in den Hintergrund getreten. Allerdings hatte ich mich auch selbst stark diszipliniert und versucht, möglichst gesund zu leben.

In der akuten Phase der Covid-Erkrankung (beide Male) hatte ich jeweils eine massive Erkältung und zeitweise Atemnot. Heute versuche ich mich manchmal auch kritisch zu hinterfragen, ist das jetzt wirklich so, dass ich schlecht Luft bekomme, oder ist das ein „Flashback“, die Erinnerung daran, dass ich schlecht Luft bekommen habe. Es ist möglich, dass auch so was wie ein Körpergedächtnis eine Rolle spielt.

In das Spazierengehen habe ich Atemübungen eingebaut, 3 Schritte einatmen, 5 Schritte ausatmen, Atemübungen sind generell eine gute Idee, auch als Beruhigungsmittel, denn keine Luft zu bekommen, löst Panik aus, wie wohl leicht nachvollziehbar ist.

Obwohl ich aus einem Grundoptimismus heraus und auch wegen der Erfahrung der Besserung nach der ersten Infektion jetzt für mich davon ausgehe, dass ich kein Long-Covid habe, dass sich mein Zustand bessert, hat mir die Erkrankung doch einige Lebenszeit geraubt und mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt.

Auf Twitter stolpere ich über einen Text aus der Süddeutschen, wieder bei Margarete Stokowski, dort darf eine andere Kolumnistin schreiben, dass es sich wohl bei dem „öffentlich machen“ der Erkrankung an Long Covid um eine Art neue Mode mit Distinktionsgewinn handle, was wohl auch ein Angriff auf die feministische Autorin Stokowski ist, die in einer Pressekonferenz mit Karl Lauterbach darüber sprach, welche Folgen die Covid Erkrankung bei ihr hatte.

Die Hetze gegen und der Hass auf die langfristig Erkrankten, droht nun die Präventionsmaßnahmen gegen die Krankheit zu ersetzen. Ein FDP-Abgeordneter aus dem Frankfurter Stadtparlament forderte kürzlich, die Maskenpflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln abzuschaffen, neben Hessen haben nun drei weitere deutsche Bundesländer am vergangenen Freitag die Aufhebung der Isolationspflicht verkündet, Österreich wird hier explizit als Vorbild genannt. Es seien für Österreich bisher „keine negativen Erkenntnisse bekannt“. Auf welcher Grundlage diese Schlussfolgerung gezogen wird, bleibt unklar. Mit den Folgen einer Erkrankung muss dann wohl jede*r allein klarkommen – Neoliberalismus reloaded.

* Der Ausspruch stammt von dem Journalisten Joachim Huber der selbst an Long-Covid erkrankt ist und 2020 bei einer Pressekonferenz mit Betroffenen von ihm geäußert wurde.

**Margarete Stokowski ist eine feministische Autorin. Das Buch „Untenrum frei“ machte sie einer breiteren Leser*innenschaft bekannt. Sie ist auch eine der ersten prominenteren Personen in Dtld., die an Long-Covid erkrankt ist und dies auch öffentlich gemacht hat.