Es lebe der Vorgang! Leid und Lust des Angestelltendaseins


Siegfried Kracauer beobachtete die in den 1920er Jahren neu entstehende Klasse der Angestellten mit Misstrauen – zu Recht. Finanziell waren sie gegenüber den Fabrikarbeiter_innen kaum besser gestellt und wähnten sich doch, ohne den Schmutz unter den Fingernägeln, als bürgerlich.

Während jedoch den Arbeiter_innen noch ein Produkt vor Augen stand, zu dessen Entstehung sie beigetragen hatten, Autos, Maschinen etc., hatten die Angestellten – ja, was hatten sie?
Bei der Arbeit im Büro werden Vorgänge bearbeitet, und am Ende der Bearbeitung steht die Beendigung des Vorgangs.

Hatten die Arbeiter_innen immerhin noch “Werkstolz”, wenn auch ein faules Gefühl, an dessen Ende die Enteignung des von ihnen hergestellten Produkts durch die Kapitalisten stand, bleibt den Angestellten nur die Entledigung des Vorgangs.

Jedoch kein Grund zum Klassenkampf. Wie sollte auch die Kampfformel lauten? „Vergesellschaftung aller Vorgänge zugunsten der Angestellten“, „Angestellte aller Länder vereinigt euch“, „Zur Aneignung und Vergesellschaftung aller Vorgänge“?

Ein maßgeblicher Bereich in dem dergleichen “Vorgangsbearbeitung” statt findet, ist der Verwaltungsapparat. Kluge Menschen sind freundlich gegenüber den Verwaltenden, denn Verwaltung ist undankbar. Und Menschen, die undankbar behandelt werden, werden dann doch manchmal auch ernsthaft böse. Wie die Ehefrau in „Arsen und Spitzenhäubchen“ , die nach Jahren der Umsorgung ein bisschen Rattengift in das Essen des Gatten träufelt, oder dies auch auf weitere Vertreter der Gattung ausweitet.

Da wie bei anderer Reproduktionsarbeit auch in der Verwaltung kein Werk am Ende der Arbeit steht, und der Lustgewinn entsprechend gering ist, droht die Gefahr der Frustration. Denn Undank ist der Welten Lohn.
Und wie der Hausmensch, der nach getaner Arbeit Mitbewohner_innen mit Schlammschuhen über den frischen Flur laufen sieht, ist das Geschrei bisweilen groß. Analog dazu: Lieschen Müller hat sich nicht an-, geschweige denn abgemeldet, was eine heimliche oder auch offene Abwertung des Arbeitsinhalts der Angestellten und somit, wie schon erwähnt, des Vorgangs verrät. Dann fliegt der Putzlappen. (!)

Im Angestelltentum (besonders in der Verwaltung) handelt es sich also oft quasi um Reproduktionsarbeit – nur in Schriftform. Im Staatswesen beispielsweise müssen alle Vorgänge um den Menschen dokumentiert werden: Lieschen Müller wird geboren, zieht um, stirbt. Am Schluss landet Lieschen bei den (Alt-)Akten, und man kann sich fragen, welchen Sinn der Vorgang für Lieschen Müller und auch für die Gesellschaft hat. Die Antwort lautet, dass der Vorgang der Reproduktion der (verwalteten) Gesellschaft als Ganzes dient.

Generell lassen sich im Angestelltenwesen auch Typen ausmachen: der Komplimentenklopfer, die Gefängnisaufseherin, der leidende General, der Spaßvogel… nicht unwesentlich ist sicherlich (auch) die Hierarchie, zu beachten insbesondere von jenen, die etwas von den Verwaltenden benötigen. Böse Zungen vermuten noch Reste des preußischen Untertanengeistes darin.

Die Unterscheidung zwischen Arbeiter_innen und Angestellten scheint zumindest heute kaum mehr möglich. Denn traten die Angestellten in den 1920ern noch klar als neue Schicht neben den Fabrikarbeiter_innen auf die Bühne, wird seit der weitgehenden “Umwandlung” der Arbeit in westlichen Gesellschaften in “Arbeiten der Dienstleistung” die Grenze zwischen Arbeiter_innen und Angestellten immer fließender. Die Unterscheidung zwischen Gehalt und Stundenlohn lässt sich (zur klaren Unterscheidung) auch nur bedingt heranziehen.

Der Vorgang und seine Bearbeitung scheinen jedenfalls jedoch weiterhin zentral zu sein, zumindest im Staats-, Banken- und Versicherungswesen. Inzwischen soll es sogar handelsübliche Grabsteine für Angestellte geben.
„Sie war eine Meister/in des Vorgangs“, „Er/Sie pflegte aufopfernd den Vorgang“ , „Ein erfülltes Leben voller Vorgänge“ etc.