Diese Installation der “Weißen Fahne” von Wolgang Temmel und Fredo Ertl vor dem Kunsthaus … Trickreich trickreich, bzw. “g’lernt is’ g’lernt”, wie durch so einfache Mittel – vermittels einer weißen Fahne, eines (vermutlich) Videobeamers und fünfer einfacher Symbole – dieses Überangebot an Interpretationsoptionen vor und neben das Kunsthaus platziert wird …
Nämlich erstens: Eine weiße Fahne, für sich genommen also ein noch unbearbeitetes Stück Stoff, das tausende Möglichkeiten bietet, aber im kulturell lesbaren Kontext selbst bereits Symbol, nämlich Symbol der Kapitulation (ohoho) vor was auch immer …
Zweitens: Die Symbole, Pentagramm – Halbmond – Davidsstern – Swastika – Hammerundsichel – Kreuz, wie sie, laut dem Erläuterungstext auf der Kunsthaus-Homepage, “Macht” repräsentieren; und ach sieh mal, wenn wir sie auf die Fahne projezieren, dh. in gerade diesen vorgegebenen Kontext setzen, erscheinen sie plötzlich austauschbar, und Macht-selbst, Formgebung-selbst, Grenzziehung-selbst ist, was (einen unschuldig-amorphen Urzustand be-) siegt …
Dann drittens: Dass das, was von der gegenständlichen Fahne tatsächlich unschuldig-weiß bleibt, grade die Form der Machtsymbole ist, und das Drumherum dagegen sich verdunkelt, sich also auch noch die ambivalente Leseoption auftut, es wäre in Wahrheit die jeweilige Machtvariante, Machtausübungsvariante, indentifizierte Gruppe, die kapituliert … Es kapitulierten mithin alle, alle Menschen, weil “wir alle” als Machtsymbolbesitzer irgendeiner Art uns sehen, irgendwelchen Gruppen angehörten usw. …
Viertens hinwiederum: Dass dieser ganze bis hierher geschilderte Interpretationssalat eine historische Dimension hat; dass die Arbeit 1973 schon einmal, und in ein ganz anderes Graz gestellt worden war damals. Wir fragen uns dementsprechend, ob uns die Kurator*innen des Kunsthauses damit wohl sagen wollen, es sei diese ganze triumphale “Weiße Fahne” der Unbestimmtheit und Ideologieskepsis inzwischen – 2018 – wiederum als historische zu einem Machtsymbol auf dem amorphen Untergrund des Stadtraums-im-Wandel geworden … Bzw. es habe irgendeine andere Sorte Sieg/Niederlage/Formbestimmung stattgefunden an der Ecke, wo wir die Fahne stehen sehen … oder sind das schon Überreizungssymptome auf unseren Kunstschnöselgehirn-Temporallappen?
Wie gesagt: G’lernt is’ g’lernt. Die “weiße Fahne” ist als Kunstwerk und Gegenstand kuratorischen Zugriffs durchaus nicht uninteressant; erzielt viel Bedeutung mit wenig Aufwand. Gleichzeitig ist sie unerträglich, genauer: ist es unerträglich, wenn auf einer Fahne in Graz, der “Stadt der Volkserhebung”, die auf dem Territorium liegt, das mal das Deutsche Reich war, ein Hakenkreuz zur Schau gestellt wird – egal in welchem Kontext, vermittels welcher Bildgebungsmittel und unter welchen begrifflichen Vorzeichen, auch: egal, wie herum gedreht. Wir sind ja hier nicht im Kindergarten und erkennen eine Schutzbehauptung, wenn wir sie lesen/hören – als wäre das “indische” Swastika als Machtsymbol den anderen fünf verwendeten innerhalb der Logik des Werks ebenbürtig; als handelte es sich hier nicht, wie wir auch an den Proportionen erkennen, um eine bloße Spiegelung des bekannteren Nazisymbols; als würde ferner ein so breit wie hier proportioniertes “Swastika” auf irgendeiner Fahne dieser Welt vorkommen (das ist ja die selbstgesetzte Vorgabe, nichtwahr: Machtsymbole, die so auf Fahnen stehen oder standen); als würde schließlich das Künstlerduo TEER 1973 an jene Stelle ausgerechnet ein Swastika gesetzt haben, wenn es dessen “Verkehrung” auf der Nazifahne nicht gegeben hätte.
Zugleich, und gleich auf mehrere Arten, ist auch der Kontext selber unerträglich, den die “Weißen Fahne” schafft. Das blanke Nebeneinanderstellen der sechs Machtsymbole, das Schaffen einer Reihe, in der dann Davidsstern und Hammerundsichel ganz unvermittelt-“brüderlich” neben dem, ähem, Swastika stehen, lässt sich nicht “harmlos” lesen, egal, wie man es dreht und wendet, projeziert und spiegelt.
Entweder, es handelt sich um den Ausdruck wirklicher, blanker Wurschtigkeit dem historischen Gehalt jener Symbole gegenüber, dh. um ihre bloß-funktionale Indienstnahme für den (wie gesagt, künstlerisch nicht unspannenden) Zweck der Arbeit. Solche Wurschtigkeit öffentlich einzubekennen, kommt dem Hinausposaunen des Wunschs gleich, man möge nicht immer so blöd fragen, man müsse doch nicht alles soo genau nehmen, und es möge bitte jede*r fürderhin unhinterfragt denken/machen können, was er*sie lustig sei … Wir hätten es dann mit postmoderner Begriffsverwahrlosung zu tun – mit der falschen Behauptung, man sollte oder könnte sich angesichts der sozialen Wirklichkeit(en) in den Zustand “unschuldiger Kinder” zurückbegeben, und dann gäbe es gleich viel weniger Gründe, sich in die Haare zu kriegen, weil man den Schrecken “fester Standpunkte und Ideologien” hinter sich lasse, oder so …
Oder wir haben es mit der bloßen Behauptung dieser so “unschuldigen” Herangehensweise zu tun, tatsächlich vorgebracht mit dem argumentativen Kalkül, reale Äquivalenzen zu behaupten (“Ich stelle mich jetzt mal dumm und verwende bloß Symbole, die so schon mal auf Nationalflaggen waren, und wie Ihr reagiert, das wird was über Euch sagen, nicht über mich.”). Dann sähen wir auf jener weißen Fahne eine a-historische, “unschuldige” Abstraktion des im historischen Hierundjetzt sattsam bekannten Raunzens, welches “von den Verbrechen Israels!” bzw. “… Stalins!” anfängt, wenn man darauf hinweist, dass auch Grazerinnen und Grazer bei der größten Schweinerei der Menschheitsgeschichte aktiv mitgetan haben. Anders gesagt: Die Rede davon, es sei Davidsstern, Hammerundsichel und, ähem, Swastika “alles das Gleiche”, sie spiegelt in der konkreten historischen Einbettung des Jahres 2018 das unablässige paradoxe Geheule von allen Podien und aus allen Medien, “Man werde ja wohl noch sagen dürfen …” und “Es sei ja nicht PC, aber …”. In letzter Konsequenz handelt es sich um eine Gleichsetzung von Tätern und Opfern, und, wenn überhaupt irgendetwas Wirkliches, um die Forderung nach der Abschaffung des Verbotsgesetzes.
Will sagen: Ich finde, die “Weiße Fahne” sollte da nicht hängen. Nicht, weil alles, was ich bis hier in sie “hineingelesen” habe, auch absichtlich hineingelegt worden wäre, sondern: Weil es nicht prinzipiell unmöglich ist, die Arbeit so zu lesen, und weil dies das der Standard ist, an dem sich Kunst meiner Meinung nach messen lassen sollte.
…
Exkurs: Spätestens hier ist dann die Stelle in solchen Diskussionen (wenn überhaupt welche stattfinden), wo der Einwand mit der “Freiheit der Kunst!” kommt, der Vorwurf, man wolle mit solcher Kritik “Zensur!” üben.
Aber dieser Einwand geht ins Leere: Sowieso gilt die Freiheit der Kunst gilt bei der “Weißen Fahne”. Aber: Wenn die einzige Verteidigung, die man vorzubringen hat, darin besteht, es sei immerhin nicht gesetzlich verboten, was man treibt, dann drückt das den Standard der Debatte erheblich runter und macht sie potentiell nutzlos. Wir stellen uns beispielsweise vor, wie ein Gespräch weitergehen könnte, das mit dem Vergleich von Erdbeerjoghurt-Marken beginng, und einer sagt, “Ich finde, dieses hier schmeckt eklig.”, und der andere fängt drauf an zu brüllen: “DIE GESETZLICH ERLAUBTE MENGE AN MÄUSESCHEISSE PRO KUBIKMETER JOGHURT WURDE NICHT ÜBERSCHRITTEN!”
Wie überhaupt der Ruf von der “Zensur!” und der “Political Correctness!” hauptsächlich dazu dient, die je eigenen Poition gegen Kritik abzudichten. Er macht ernstliche Gespräche von Anfang an unmöglich, weil schon von vornherein als ausgemacht gilt, dass das Gegenüber “mir” etwas wegnehmen will; es kann, wenn ich mich als Opfer einer übermächtigen Meinungsdiktatur sehe, nur Sieg und Niederlage geben; bestenfalls noch den “Ausdruck” eines als unanfechtbar gedachten, “angegriffenen” und (siehe ganz oben) notwendig ahistorisch-kindlichen “eigentlichen Ich”; schlimmstenfalls nichts als eine weitere Episode im “ewigen Kampf” von “uns” gegen “die”. (Exkurs Ende. Zurück zur “Weißen Fahne”.)
…
Die Frage, ob jenes Hakenkreuz ein Swastika sei, oder das Swastika doch kein Hakenkreuz, ist so sinnvoll wie die Diskussion, was die Identitären und ihre Freunde in der kleineren Regierungspartei mit “Ethopluralismus” meinen – “eh nur” ein antimodernes Leitbild im Diskurs, oder durchaus, ganz konkret, Apartheid und ein eigenes Kriminalregime für “Fremde” … Will sagen, wenn DAS die Fragen auf der Tagesordnung sind, haben wir als Öffentlichkeit ohnehin schon verloren; und es stünde den offiziellen und offiziösen Kultureinrichtungen wohl an, ihrem Aufpoppen nicht auch noch Vorschub zu leisten.
- Bildrechte/copyright Ⓒ: Alexander Katz