Vorbei sein ist alles


Ein eitles Bin-schon-weg-Spiel hat ein Oberösterreicher mit Arbeitsplatz in Kärnten gespielt, er hat es sogar zu Ende gespielt. Sein Nachfolger spielt gar nichts, der ist einfach da, überreizt, vom eigentlich Nichtdagegenseindürfen genervt, falsche Bühne, falsche Rolle, falsches Stück. Der Kanzler ist einfach nicht da, wenn es unangenehm ist. Fragen beantwortet er nicht. Das alles ist vollkommen belanglos im Vergleich zu dem, was gerade anderswo vor sich geht. Nämlich die völlige Loslösung von allem. Es geht um ein Leo, in dem niemand erreicht werden kann. Ein Ort, an dem es keine Rolle spielt, ob jemand schon oder noch da ist oder schon wieder weg, ob jemand nur gelegentlich vorbeischaut, ob jemand die meiste Zeit angewidert herumsitzt und so weiter und so fort, weil das alles an diesem Ort nicht stattfindet. Dort ist niemand zu kriegen, dort gibt es nichts zu gewinnen, auch nicht zu verlieren, es ist der Ort der völligen politischen Leere, und ich meine nicht den Nationalrat.

Gläubige meinen damit vielleicht den Himmel, aber so lange kann ich nicht warten, es gibt hier noch viel zu tun, und das möglichst in Ruhe und ohne Störgeräusche. Es wird eine Zeit dauern, bis das Vokabular sich befreit hat von der viele Jahre dauernden Einwirkung medialer und politischer Stimmungsmache. Störgeräusche war eine Bezeichnung für das Wesen der Opposition an sich einer Fraktion, die von dort Jahrzehnte lang gebrüllt hat und nun, in Regierungstätigkeit, die Opposition als Störfaktor begreift. Das alles wissen wir. Wir wissen, was alles zu demontieren die derzeitigen Mehrheitsbesitzer vorhaben, wir wissen, welche Interessen sie vertreten und vor allem, wessen Interessen sie mit Füßen treten, und es wird vertreten und getreten werden, es wird eine Quittung dafür geben, es ist ohnehin ein stetes Kommen und Gehen von Menschen, von Ideen, leider immer von den selben Ideen, das ist das Langweilige daran. Manche Erfahrungen müssen selbst gemacht werden. Dass Kinder irgendwann auf die Herdplatte greifen liegt an großer Neugier, bloß: Es tut außer sich selbst niemand anderem weh, und es lernt definitiv, dass das Ding heiß ist. Problematisch an der Selbsterfahrungsreisegruppe, die zur Zeit als Regierung durch das Schlaraffenland fährt, ist, dass ein paar Regionen des Schlaraffenlandes gerodet und trocken gelegt werden, sie selbst aber in der Oase bleiben. Negative Erfahrungen werden ausgelagert und von anderen erlebt, selbst weiß man Bescheid, dass es gut wird, der Rest ist wurscht.

Mir nicht, aber ich distanziere mich. Bin schon weg. Auch wenn es genug Gründe gibt, sich aufzuregen: Es ist so vieles schon so blöd, dass ein Lachen nicht mehr vermeidbar ist. Natürlich könnte man sich ohne Ende darüber aufregen, nur ist die Hoffnung absolut berechtigt, dass so etwas ein Ende von selbst findet. Ich bin nicht mehr erreichbar. Kein Anschluss unter dieser Nummer und umgekehrt. Sogar den Musikpreis Echo hat ein Ende gefunden, das ist doch ein Anfang. Den gibt es nicht mehr, weil ihn niemand mehr haben will. Und weil niemand mehr hingehen würde, der noch einigermaßen Anstand sich selbst gegenüber hat. Es werden sich auch die Menschen häufen, die anderswo nicht mehr hingehen oder hinsehen und hinhören. Bleiben die Foren im Internet, dort kann man getrost die Menschheit alleine lassen in ihren Gruppierungen, die lauter tolle digitale Gedanken und Ideen haben. Mögen sie dort bleiben, mit ihrer inhaltlichen Armut – die analoge, echte Armut, auch die eigene, werden sie dort nicht wegposten können, die eigene inhaltliche lebt nicht hoch genug, um einen Überblick zu bekommen. Falsche Zahlen passieren vielleicht im Kanzleramt, die Bank aber wird auf dem Kontoauszug bestimmt keinen Irrtum zu Deinen Gunsten ausdrucken.

Und so wird das Leo größer und größer. Wenn die Politik endgültig tot ist und durch Marketinggags ersetzt wird, wird es keinen Grund mehr geben, den Fernseher aufzudrehen. Dass denken sich jetzt schon ein paar, denen selbstdenkende Menschen, die unangenehme Fragen stellen, ein Dorn im Auge sind. Hier geht es nicht bloß um ein paar Redakteure, die ausgetauscht werden wollen oder gar entlassen, wenn sie nicht so berichten, wie es manche gerne hätten. Nein, hier geht es um Strukturzerschlagung, und es überrascht mich selbst, diese Institution in ihrem vollen Umfang verteidigen zu müssen. Der Mann, der die Kürzung von einem Drittel der Auslandskorrespondenten in Aussicht gestellt hat, wenn diese quasi nicht parieren würden, wurde von manchen als Liberaler betrachtet. Wer immer sich so eine Fehleinschätzung ausgedacht hat, es wird gerade eindrucksvoll widerlegt, dass hier noch irgendetwas liberal sein könnte geschweige denn jemals war. Also zersägen wir das letzte Schiff, auf dem zumindest ein letzter Funke Unabhängigkeit existieren darf, wobei das mit Vorsicht zu betrachten ist. Ein Drama ist das allemal, bloß scheint es allen wurscht zu sein, im Land der Lemminge.

Zum 200. Geburtstag von Karl Marx gibt es eine ganze Menge zu lesen, hören und sehen. In einem Dokumentarfilm kommt eine Passantin in Trier zu Wort, als sie um ihre Meinung zu einem Denkmal für Karl Marx gebeten wird. Zusammengefasst lautet die Antwort: Manche begrüßen das Denkmal, aber viele lehnen es ab, weil nun einmal Karl Marx der Gründer des Kommunismus ist und damit die Welt gespalten hat. So, nun hat diese Dame, wenn das Alter grob geschätzt werden darf, ihre schulische Ausbildung lange vor dem Internet absolviert, und es trotzdem geschafft, ohne Fake News drei Sätze zu formulieren, die reichen würden, um gleich zwei Klassen auf einmal wiederholen zu müssen. Den aktuellen Spaltexperten ist im Übrigen eine marxistische Haltung eher nicht nachzusagen.

Beschwichtigend sagen aber so genannte Experten, die es zu wissen glauben, dass die Situation/die Weltlage/die Dinge an sich nicht vergleichbar wären mit den 1930er Jahren, weil eine völlig andere Ausgangsposition herrscht. Diesen Menschen möchte ich gerne mitteilen, dass es scheissegal ist, aus welcher Position irgendwelche Unguided Missiles starten, um zu erwartendes Unheil anzurichten. Das spielt keine Rolle, die Ähnlichkeiten sind einfach zu verblüffend, dass den Experten anzukreiden ist, die Gesamtlage nicht kapieren zu wollen. Die Gedenkfeiern zur Befreiung von Mauthausen bringen die gesamte politisch-pathologische Selbstwahrnehmung zu Tage. Es wird von einer Partei mit Befremden festgehalten, nicht eingeladen worden zu sein. Dabei hätten sie bestimmt schöne Beiträge mitbringen können, und wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder. Der Begriff “Weltoffenheit” kommt auch mehrmals vor. Dass man diejenigen, von denen man regelmäßig angespuckt wird, nicht auf ein Eis einlädt, geht in diese Köpfe nicht hinein, obwohl dort noch enorm viel freier Platz sein muss. Und nun schnell zurück ins Leo, hui! Beinahe hätte es wieder Aufregung gegeben.

Die ins Nichts führt, eigentlich. Bloß ist es ungeheuer schwierig, die Gelassenheit zu finden. Nicht Gelassenheit gegenüber dem Geschehen an sich. Politik schraubt das Niveau seit längerer Zeit sukzessive herunter, dazu hätten wir die derzeitige Konstellation auch nicht gebraucht. Es verblüfft vor allem das ungeheure Selbstbewusstsein bei gleichzeitigem Unvermögen, aber das eine bedarf gelegentlich des anderen. Selbsthinterfragung geschweige denn Selbstzweifel gibt es nicht. Dagegenhalten könnte man nun natürlich, dass es auf der Hand liegt, das verschwindend kleine Bündel an Fähigkeiten mit aller Energie behüten und verteidigen zu wollen, da sind Zweifel hinderlich. Und gegen Ende kommen wir immer und immer wieder zum selben Schluss: Es sind nicht die rechten Rüpel, die uns wundern lassen, von denen wissen wir alles. Nein, die so genannte Mitte regt sich auf, dass bei einer Rede eines Schriftstellers übers Ziel geschossen wird, weil er meint, dass schon einmal jemand stolz auf abgeschnittene Fluchtrouten war. Die vermeintliche Mitte wirft das Niveau in den Kanal, sie begreift gar nichts mehr. Aber Achtung, in den Archiven ist nachzusehen, was tatsächlich passiert sein wird, die Sintflut hinterher wird nicht einfach austrocknen. Derweil genieße ich die nachrichtenfreie Zone, Leo sei Dank.


 

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