Unqualifizierte Halluzination / zur Lage der Nation.


Unqualifizierte Halluzination / zur Lage der Nation.

 

Wien, Stephansplatz. Ein Reisebus fährt mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit über den Platz, direkt an der Dompforte vorbei. Die Zettelverteiler und die Fremdenführer in ihren Mozartperücken hüpfen beiseite, dass es eine Freude zum Zuschauen ist. (Um die Tauben und die Touristen machen wir uns mal keine Sorgen, sie nicken weiter blöde vor sich hin und bewegen sich in schützenden Großgruppen übers Pflaster.) Ein Geistlicher stolpert, aber das ist uns auch wurscht. Da der Bus laut quietschend zum Stehen kommt, blockiert er sowohl den Autoverkehr am Eck Rotenturmstrasse alsauch den Fiakerstandplatz beim Dom. Es wird gehupt. Es scharrt ein Pferd mit Hufen. Laut fluchend kommt ein Kutscher näher. Er liest die die Aufschrift auf der Seite des Busses, Türkis und Dunkelblau auf braunem Grund, sie lautet

 

Vom Sebastibasti Kurzikurz seinen Segelohren ihre Segeltörns im Meer der Geschichte durch die Untiefen der österreichischen Realverfassung so, wie Robert Menasse sie uns erklärt hat. Das Fernziel ist Takatuka-Land, aber fürs Erste reicht uns Deutsch-Österreich.

 

Irgendwie geht sich das alles in den paar wenigen schwungvoll gesetzten Lettern aus, die wir da sehen. Vorne auf dem Bus lesen wir außerdem, in Spiegelschrift wie bei Rettungswägen:

 

Man beachte, dass hier immerhin nicht unkommentiert ‘Geilomobil’ draufsteht.

 

Mit einem lauten Zischen der Hydraulik öffent sich vorne die Bustür. Leguane, Murmeltiere, Bisamratten und Paviane in putzigen Lederhosen und Dirndlkleidern steigen aus, untereinander mit menschlichen Stimmen schnatternd, und stehen in Kleingrüppchen auf dem Pflaster rum. Beeindruckt blinzeln sie den Dom und den Mannerschnitten-Flagship-Store an. Diejenigen, die Smartphones oder Fotoapparate mit sich tragen, machen Selfies.

 

Hinter ihnen entsteigt seinem Gefährt der Busfahrer. Er ist ein Oarsch mit Ohren, aber ohne die Ohren, und er raucht durch das Oarschloch, das hier den Mund darstellt, eine würzige Zigarette. Er hat nach einigen Monaten der Abstinenz wieder angefangen zu rauchen, wie wir wissen. Aber woher wir das wissen, wissen wir nicht.

 

Taxler, Passanten und Fiakerfahrer erheben hörbar Beschwerde, dass der Bus im Weg rumsteht, und nähern sich dem Buslenker. Grob schiebt ein Kutscher eins der Murmeltiere beiseite, dass es stolpern muss und hinfällt. Wie Dominos fallen davon nun Tierchen in lustigen Aufmachungen in den Dreck; da sie Tierchen und keine Menschen sind, ähnelnd die Schreckgeräusche, die sie ausstoßen, am Ehesten einem Pfeifen knapp an der Grenze des Hörbaren. Laut hören wir da Taxler und Fiakerer und Fremdenführer über das Unglück der putzigen Tierchen lachen; wir befinden uns sozusagen an der Schwelle zum Mitgefühl mit Kreaturen, die uns ein Oarsch mit Ohren ins Herz der Republik geführt hat.

 

Den Strassenschmutz auf ihren Schnurrhaaren und ihre Scham und Erniedrigung vor lauter lachenden Leuten und vorm Stephansdom höchstselbst finden sie scheisse, die Tierchen; dass die Leute sie auch deshalb auslachen, weil ihnen einfach der depperte Reisebus im Weg steht und sie zu konfliktscheu sind, die Leute, um sich mit dem Fahrer anzulegen, das ist den Murmeltierchen, Leguanen und sortierten anderen Viechern wurscht.

 

Anspannung wird sichtbar zwischen einem besonders ang’soffenen Fiakerfahrer einerseits, der durchaus nicht mitlacht, und dem Buslenker, diesem Oarsch mit Ohren, andererseits. Der Fiakerfahrer fordert vernünftigerweise, dass der Bus da weggestellt werden soll, was aber, weil Traumlogik, zugleich auch so klingt, als würde er ein EU-konformes Rauchverbot für Oarschlöcher fordern. Der Buslenker schaut blöd zurück, bläst Rauch in die Luft und erklärt aufreizend langsam, er habe aber eine Genehmigung, hier zu parken. Zum Beweis zeigt er ein mit Wachskreide und Murmeltierscheiße vollgeschmiertes Blatt Papier vor, auf dem wir unter dem ganzen Geschmiere mit Mühe ein Portraitfoto des früheren Bundespräsidenten Dr. Kurt Waldheim in SS-Uniform erkennen können; oder war es doch – Traumlogik – die sicherlich hochgradig illegale pornografische Abbildung eines blonden Ariermädchens mit Araberhengst und Schlachtschussapparat? Der Wisch beeindruckt den Fiakerfahrer nicht, und mit wütenden Schritten bahnt er sich einen Weg durch die Menge der lachenden Leute und der wehklagenden Tierchen zu dem Oarsch. Dabei ist er durchaus unsanft.

 

(Wie einfach, liebe Kinder zuhause an den Bildschirmen, könnte man die Rauferei, die sich da anbahnt, verhindern! Es müsste nur der Oarsch seinen depperten Bus wegfahren. Wenn Ihr eine gute Idee habt, wie man ihn davon überzeugen soll, bevor der Fiakerer ihm in die Papp’n haut, dann schreibt sie uns doch auf eine Postkarte und schickt sie an: ORF, 1136 Wien, Kennwort: Verbotsgesetz-und-Pferdeporno. Die zehn besten Einfälle erhalten von uns eine dekorative Reitgerte mit persönlicher Widmung von Leni Riefenstahl zugesandt. Aber zurück zu unserer Geschichte:)

 

Ein Ruck geht durch die niedlichen Tierchen in ihren niedlichen Aufmachungen, als sie des Zorns des Kutschers gewahr werden. Mit einem Mal schnattern sie nicht mehr. Sie stehen auf, klopfen sich den Strassendreck von ihrer Kleidung und das beschämte Getue aus ihren Gesichtszügen. Dicht schließen sie die Reihen um den Buslenker herum – dürfen wir sagen “Um ihren Führer”? … An den kommt jetzt niemand mehr so schnell heran, denken wir uns, und der ang’soffene Fiakerant bleibt mehrere Armlängen entfernt von seinem Ziel in der Menge stecken. Wütend und ernst und regungslos schauen die Tierchen die Passanten ihnen gegenüber an. Niemand mehr lacht über sie. Niemand mehr wird jemals über sie lachen, nichtwahr?

 

Auffällig ist, wie organisiert und eingeübt die Tierchen wirken, verglichen mit den Fremdenführern, Taxlern und Passanten. Die stolpern jetzt ihrerseits übereinander, und zwar, weil sie unwillkürlich zurückweichenden Bewegungen aufführen. Noch fällt keiner hin, aber was eben noch eine sehr lose, eine überschaubar durchlässige Gruppe schadenfroher Menschen in ganz unterschiedlichen Aufmachungen war, die im Schatten eines doof geparkten Reisebusses über das Missgeschick von süßen Tierchen kicherte, ist nun eine eng gedrängte, schwitzig angespannte Menge. Leuten stehen von einem Bein aufs andere und fürchten sich vor Murmeltierchen. Schließlich schlägt auch noch der allgemeine Fluchtinstinkt bei ihnen an, und zwar, als der Oarsch-mit-Ohren-ohne-die-Ohren seine Zigarette in die ungefährer Richtung schnippt, wo der Fiakerfahrer steht.

 

Hui, wie versuchen da alle vergeblich, voneinander wegzukommen! Sie wollen hinaus auf den weiten, leeren Stephansplatz, aber wieder und wieder drücken sie einander dorthin zurück, wo unbewegt die Murmerln, Leguane, Bisamratten und die Paviane stehn und angsteinflössend ernsthaft schauen. Ihre ganze emsige Energie nutzt den Leuten nicht: Kaum trifft den Fiakerer die glühende Zigarette des Busfahrers, geht er in Flammen auf. Es ist gerade so, als hätte ihn irgendjemand unbemerkt mit Benzin überschhüttet. Er brennt lichterloh, schreit wie am Spieß und bleibt zwischen den ganzen Leuten eingekeilt, deren frenetische Versuche, von ihm wegzukommen, doch stets in neuer Berührung, neuer Reibung, neuer Gelegenheit des Feuers zur Ausbreitung enden.

 

Alles schreit. Die Glocken des Stephansdomes bimmeln. Immer mehr Passanten strömen von fern heran, um zu helfen oder einfach nur herauszufinden, was da los ist. Sie versperren denjenigen den Weg, die rauswollen, weg, nichts wie weg vom Feuer.

 

Nun öffen sich erneut die Türen des Reisebusses, und auf gut geprobte, ruhige Art verteilen die Tierchen untereiandner Gasmasken und Miniatur-Feuerwehr-Schutzkleidung sowie Messer, Revolver und kleine, putzige Flammenwerfer.

 

Was bevorsteht, wird nicht hübsch zum Anschauen.

 

Helmut Qualtinger als Engel, bekleidet mit einem weißen Nachthemd, kommt von der Aussichtsplattform oben am Stephansturm heruntergeflattert und schlägt die Laute. Dabei wischerlt er umstandslos aus seinem Nachthemd auf den in Flammen stehenden Fiakerator hinunter, bis dieser zu brennen aufhört.

 

Sie sind ein junger Mensch,

 

ruft er ihm zu und verschwindet. Die allgemeine Anarchie bricht los. Im Manner-Flagship-Store randaliert Dompfarrer Faber und reibt seine Haare mit Haselnusscreme von heimischen Produzenten ein. Überall im sogenannten historischen Herzen Österreichs laufen nun die Passanten vor bewaffneten Tierchen davon, über deren niedlichen Trachtenaufzug garantiert nie mehr jemand lachen wird. Ihr Führer ist ein Oarsch mit Ohren und hat jetzt nach einigen Monaten wieder zu rauchen begonnen.

 

Was bevorsteht, wird nicht hübsch zum Anschauen.