ein kind fehlt


kein aufschrei. eine kurze meldung, ein paar weitere. ein bericht, der unterlagen sichtet1 und versucht, verantwortungen zu benennen. eine titelseite, zwischen sensation und trauer. mehr sensation.2 aber kein gesprächsthema, keine skandalrufe, keine öffentlichen schweigeminuten, keine flaggen auf halbmast, keine kerzenmeere und niedergelegte stofftiere. kein kollektives trauern, keine betroffenen kondolenzwünsche von politiker*innen. keine messe im stephansdom oder in der kirche in baden oder in einer moschee, synagoge, tempel, gebetshaus welcher konfession auch immer. keine besondere unterstützung für die familie, die sie schon längst dringend gebraucht hätte. flucht und verantwortung für sechs kinder, eins davon mit trisomie 21, für einen bruder, selbst erst 23, waren nicht weiter beachtenswert. die österreichische familienfreundlichkeit endet bei der staatsbürgerschaft. keine spendenaufrufe für die hinterbliebenen. auch nicht für die kinder. keine aktionen von licht ins dunkel, auf ö1 oder in der millionenshow. keine charity des lionsclub oder der rotarier. die österreichische kinderfreundlichkeit endet bei der staatsbürgerschaft. keine empörung und kaum kommentare. wenig betroffenheit und viel ignoranz. keine sonderschaltungen und keine debatten zur hauptsendezeit. oder in der straßenbahn. keine tränen vor kameras, die ungezählten dahinter gehen nicht auf sendung. keine facebook-profile im trauerflor. keine hashtag-kampagnen und keine mahnwachen. keine kranzniederlegungen hochrangiger staatsvertreter*innen, einer nur aufgestellt vor dem lokalen fußballstadion, aus blumen in rotweißrot. keine psychologische betreuung und keine begleitung der angehörigen. keine staatsanwaltschaft, die verantwortungen prüft.3 die österreichische rechtsauffassung beginnt bei der staatsbürgerschaft. mensch sein auch. kein aufstocken der gelder für menschen in krisen, sondern immer weniger. und noch weniger. bis nichts mehr bleibt. und niemand. (aber es ist genug und mehr da und bleibt. für banken in krisen, und firmen in krisen und diktaturen in krisen und märkte in krisen und handel in krisen und steuerparadiese ohne krisen.) alle können es ertragen. die die es nicht können, zählen nicht. in keiner statistik. ein sarg, verladen in ein flugzeug, zurück ins fluchtland. noch im tod. vor dem er floh und in den er ging, weil zuviele wege versperrt wurden. mit elf. auslöschung. keine veränderung. doch. eine. ein kind fehlt. für immer.

1Falter, Nr. 47/17, 22.11.17, sowie Reportage in Nr. 48/17, 29.11.17

2News, Nr. 47, 24.11.17

3Die Volksanwaltschaft überprüft, „ob es einen Missstand in der Verwaltung gegeben hat.“

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