Weisses Papier


“Der Autor im Cyberspace” von Walter Grond hatte mich schon mehrfach inspiriert, gab mir aus der digitalen Welt literarischen Anstoß. Meine erste Doku wurde in Wien als erster Film auf einem AVID geschnitten und beleuchtete eine völlig neue Ära. Auch meine Kolleritisch-Verfilmung für den steirischen herbst 98 war durch die Digitalisierungstechnik in dieser Form erst möglich geworden. Ob Filme oder Texte eben dadurch gewonnen haben, möchte ich heute offen lassen. Erst der Blick aus einer herannahenden Zukunft wird zeigen, wie geduldig Papier war und ist; wie digitale Zerfallsreihen sich wieder auflösen und was in den Terrabitearchiven, welcher Collection auch immer, bestehen verbleibt. Die digitale Revolution knabbert gerade ihre Kinder an, die das Handschreiben verlernen. Man hatte sich längst gegen Papier entschieden. Das lag nicht an der Chlorbleiche, sondern an den Beschleunigungs- und Potenzierungstendenzen, die infolge von Cyber-Web- und Vernetzungskultur ausgingen. Schon 1999 wurde in der Schule für Dichtung in Wien von Christian Ide Hintze eine I-Netklasse eingerichtet. 2004 hatte ich dann meine erste Online -Kolumne für KIG! geschrieben. Ich tat das unter dem Cyberpseudonym “N.Nagy”. Seither bin ich Netzautor. Die Jahre danach haben einige Artikel gefordert. Vor Jahren hatte mich dann der holländische Dichter Ruud van Weerdenburgh an den Global Player vermittelt, und wir haben die Kolumnensammlung doch auch auf Papier herausgebracht. Diese Bücher liessen wir über Strassenkolporteure in Wien vertreiben. Ob dies deren Not milderte, kann ich schwer beurteilen. Auf alle Fälle war es mal gut die eigenen Gedanken und Sätze auf Papier zu haben. Und das Papier lagert, ganz ohne Mausklick. KIG! hat über die Jahre AutorInnen gefördert und in der Kolumnensammlung Texte ermöglicht, Längen, Schärfe und Unschärfeprofile unterstützt und angemessen autorInnenfreundlich nach Zeilenrichtsätzen abgerechnet. Die gesamte Kolumnensammlung ist im Netz gesammelt, abrufbar und soweit es mir zugeflüstert wird, – sie wird auch gelesen. Von wem? Das kann ich als Pseudonymatiker schwer ausmachen, aber zu Reaktionen führt es allemal. Das allein unterstreicht den Wert der gesamten Sammlung.

Auch wenn mir einmal ein vormaliger Zeichenlehrer sagte, “zu intellektuell”, oder ein Germanist von einer “eigenwilligen Syntax” sprach, sehe ich mich weder dem Einen noch dem anderen verpflichtet. Auch sehe ich mich keinem kulturpolitischen Thema oder politischer Richtung zwangsverpflichtet, sondern gehe davon aus, daß jeder Text seinen eigenständigen nachvollziehabren thematischen Zeitrahmen erfüllt, der meist erst über die Zeit einsichtig und durchsichtig geworden ist. Auch für jene, die am Bildschirm lesen. Zwischenzeitig bin ich aufgrund meiner brennenden Eye-Book-Erfahrungen überzeugt, dass das Lesen am Bildschirm nicht nur die Augen belastet. Was bleibt mir als einzugestehen, alle Texte zunächst handschriftlich urverfasst zu haben, mit dem Wissen, dass dieser hanschriftliche Schreibakt ganz eigenständige Arbeit ist, – wie die Arbeit an der Computertastatur hinterher. Die Fingerkuppen am Papier und der gleitende Stabilo Point Visco ergeben den eigenständigen Rhytmus des fliessenden Textes, der erst übers Papier muß bevor er im Cyberspace landet. Nach 13 Jahren könnte man zur Ansammlung an Seiten “Altpapier” sagen, dort wo sich in den vergilbten Seiten das Schwarz langsam ins Rot verwandelt. Das sich die AutorInnen der Kolumnensammlung nun aufmachen in einem sogenannten “Best Of” ihre Kolumnen öffentlich zu lesen finde ich den Kollumenen selbst gegenüber angebracht und notwendig. Lesungen gibt es viele. Die KIG!-KulturKolumnen jedoch werden seltenst bis gar nie gelesen, wie sie zur Zeit noch nicht auf Papier gedruckt wurden – soviel als Anregung! Man darf neugierig sein und bleiben, ob eine “Best Of – Auswahl” ihren Weg auf Verlagspapier finden wird, verdient hätten es Autorinnen und Texte allemal. Als Buch für alle, die noch mit einem Buch verreisen und in aller Ruhe vor und zurück blättern wollen, ohne einem Datencrash spekulativ entgegenzuschielen … Hoppla, ich bin grade über mein Labtopkabel gestolpert, der Strom ist bei der Transkription ausgefallen … ich hoffe, dass sich der Text rekonstruieren lässt?

Lesung aus den Kulturkolumnen

23.6. 20 Uhr Capperi Salettl N. Nagy und Walter Schaidinger
30.6. Winterschluss Kolumnenlesung