Arnulf Rainer


Der Kunst sind keine Grenzen gesetzt. Alle dürfen wir unter verschiedensten Rahmenbedingungen Künstler sein, für uns selbst oder mit dem Drang nach der großen Öffentlichkeit. Zur Zeit der mitunter wichtigsten Tätigkeiten während der Sommersaison, die das Gelingen eines Jahres wesentlich mitbestimmen, denke ich sehr oft an Arnulf Rainer, er eher weniger an mich, gehe ich doch überschaubar und gerade einmal in einem engen familiären bis freundschaftlichen Kreis mit meiner Kunst an die Öffentlichkeit. Die Zeit der Ernte ist die Zeit der ersten reifen Früchte, diese werden zu feinen Marmeladen verkocht, damit steht und fällt zum Beispiel nicht weniger als die Qualität der Sachertorte für die Saison 2017/18. Der Gedanke an Arnulf Rainer hat mit der Marmelade unmittelbar nichts zu tun, außer dass sie ähnlich wie Rainers Kunst fast unbezahlbar ist. Es geht hier um die Jahr für Jahr wiederverwendeten Gläser. Die alten Etiketten lassen sich oft nur schwer entfernen, es gefällt mir sogar, wenn sie noch erkennbar sind. Und so denke ich Jahr für Jahr an die Übermalungen von Arnulf Rainer, wenn ich die frisch gefüllten und noch warmen Gläser ein weiteres Mal mit neuen Etiketten überarbeite.

Kinderbücher zu überarbeiten war vor geraumer Zeit ein viel diskutiertes Thema. In manchen stehen Begriffe, die nicht mehr richtig in die Zeit passen. Der Beruf von Pippi Langstrumpfs Vater etwa sollte neu benannt werden. Astrid Lindgren ist Rassimus nicht vorzuwerfen, der Austausch der Begriffe “Negerkönig” durch “Südseekönig” und “Negersprache” durch “Taka-Tuka-Sprache” erscheint plausibel, tut der Geschichte und dem Sprachfluss keinen Abbruch und erstrahlt in der selben Helligkeit und Klugheit der großartigen Pippi Langstrumpf. Hier wurde kein Etikett überarbeitet, lediglich ein paar notwendige und schmerzfreie Updates am Inhalt, wenn das so genannt werden kann, durchgeführt. Der Rest bleibt gleich. Pippis Erscheinungsbild muss nicht überarbeitet werden, ihre anarchistische Grundhaltung darf bleiben.

Arnulf Rainer scheint für viele unbewusst ein Vorbild zu sein. Vor bereits einigen Jahren wurde eine Vereinigung gegründet, die aus „Minderbelasteten“ aus den Reihen der Nationalsozialisten bestand, der “Verband der Unabhängigen”. Von der SPÖ wurde die Gründung der Partei unterstützt, weil man sich dadurch einen Verlust an Wählerstimmen für die ÖVP erhoffte, wird kolportiert. Daraus wurde in Folge die “Wahlpartei der Unabhängigen”, 1955 die FPÖ, dazwischen wurden P und Ö gestrichen, sie nannten sich fortan “Die Freiheitlichen”, ein Teil davon wechselte die Farbe und nannte sich seltsamerweise nicht “Liste Chamäleon”, sondern gründete das “Bündnis Zukunft Österreich – BZÖ”, dem wenig Zukunft eröffnet wurde. Irgendwann war alles wieder blau und mit dem Namen FPÖ zu versehen. Das ist eine ganze Reihe an Überarbeitungen. Drin war immer das selbe.

Die Kollegen von der Sozialdemokratie übermalen gar nichts. Sie beschäftigen sich in erster Linie damit, für welche Überarbeitungskünstler sie die Türe öffnen oder auch nicht, an der eigenen Oberfläche wird nicht gekratzt, da bleibt alles bestehen. Inhaltlich passiert aber auch nicht besonders viel. Sollte es so sein, wird es ganz prima verheimlicht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich mit dem letztjährigen Austausch des Bundeskanzlers gar nichts verändert hat. Dies war eine einmalige, punktuelle Veränderung, die aber nicht als Überarbeitung wahrzunehmen ist. Hier sind alle mit sich selber beschäftigt, wie gehabt.

Die Grünen überarbeiten ihre Fraktion von alt auf jung, so weit ihre eigene Wahrnehmung, die an Autismus erinnert. In Wirklichkeit geht es hier um eine seit Jahren angestrebte Komfortzone, die schön langsam fertig eingerichtet wird. Alle internen Störfaktoren sind eliminiert oder zumindest neutralisiert, die Reise im gepolsterten Autoscooter kann jetzt losgehen, leider befindet dieser sich halt in einem kleinen Autodrom. Da kann niemand drüber hinausfahren. Aber wenn man genug Jetons hat, kann ewig im Kreis gefahren werden, hurra. Gegen blau zu sein ist keine überwältigende Wahlkampfansage, davon war eigentlich auszugehen. Das ist so aufregend wie die Erkenntnis, dass blau gegen den Sozialstaat Österreich und ein paar andere Errungenschaften arbeitet.

Zur rosanen Fraktion fällt mir eigentlich nicht sehr viel ein, sie sind halt da, fallen grundsätzlich nicht sonderlich auf. Das kann der letzte Matrose des kanadischen Mutterschiffs schon besser, dessen Aussagen so blöd sind, dass sie fast merkbar werden, zum Glück nur fast. Der überlegt gerade, nach der Auflösung dieser Liste selbst anzutreten, wobei und wie und wofür hat er nicht erzählt. Was dieses Trara soll weiß nicht einmal er selbst, soll er doch vorne beim Haupteingang dem blauen Club beitreten; auch wenn er hinten reinkriecht, werden wir es merken. Meinungsverschiedenheiten sind dort ausgeschlossen.

Kein Stein auf dem anderen bleibt bei der Partei, die immer noch glaubt, eine Mitte zu verkörpern. Die Verzweiflung ist so groß, dass sie – vermeintlich – einem jungen Politiker quasi einen schwarzen Teppich aufrollt, auf dem ihm Freiheiten serviert werden, von denen viele ehemalige Parteiobleute nur träumen konnten. Allerdings weiß man niemals genau, wie im Parteihintergrund oder Untergrund gearbeitet wird, dort ist nämlich auch immer einiges los, um Parteiobleuten ein möglichst schweres Leben zu bescheren. Der Philosoph und Altphilologe Peter Klien, tätig als Reporter – und als solcher großartig – für die Sendung “Willkommen Österreich”, stellte einem regierenden Landeshauptmann gegenüber fest: “Wenn alles den erwartbaren Gang geht, dann wird ja Sebastian Kurz in einiger Zeit der jüngste Ex-ÖVP-Obmann der Geschichte sein, nämlich in drei Jahren, oder?” Jedenfalls bekommen wir es hier ebenso mit einer neuen Farbe zu tun, türkis wird es sein. So nennt sich übrigens auch eine orientalische Fastfood-Kette in Wien, Zusammenhänge sind eher auszuschließen. Ansonsten sind die Ziele nicht wesentlich unterscheidbar zu den bisherigen Standpunkten der Partei. Sie hat sich offenbar ein wenig genauer mit Arnulf Rainer beschäftigt und sich folgende Aussage aus einem Interview mit einer österreichischen Wochenzeitung zu Herzen genommen: “Es steckt [also] hinter meinen Übermalungen keine Philosophie, auch kein Manifest, nichts Ideologisches.” Wobei ich mir da nicht ganz sicher bin: Türkis ist nicht so weit weg von blau. Und bei genauer Betrachtung sind die inhaltlichen Unterschiede zwischen blau und schwarz / türkis im Verschwinden begriffen. Die Blauen schüren und schreien ihre eigenen und andere Ängste lauthals hinaus, die Mitte des Landes schürt Ängste auf staatstragende, damit aber nicht weniger widerwärtige Art. Berührungsängste mit einer rechtsextremen Bewegung? Ach wo, das können alle mindestens gleich gut, zumindest beide Teams der momentanen Koalition. Sie rittern gar darum, wer besser imitieren kann.

Aktiv überarbeitet werden zuallererst Hemmschwellen. Bald sind sie Geschichte. Dass rechtsextremem Gedankengut durchaus nicht nach dem Maul geredet werden muss, sollten die Wahlen in den Niederlanden und Frankreich gezeigt haben. Und wieder einmal erkennen wir Österreich als Bismarcks Mecklenburg-Vorpommern, wo dieser hinzugehen gedachte, sollte die Welt untergehen, weil dort alles zwei Jahre später passiert. Nur im schönen Graz, der Stadt der Volkserhebung, wird alles gründlich überarbeitet. Der Begriff “Blaumachen” kommt aus der Stoffbranche und meint einen Vorgang, bei dem nicht viel zu tun ist außer Warten. Würde bei der Regierungsarbeit ähnlicher Fleiß und Ehrgeiz sichtbar wie bei der Versorgung seiner Freunde und Verwandten mit Posten, als gäbe es kein Morgen, wäre es um das Land wohl ganz gut bestellt.

Ich bleibe der Arnulf Rainer der Marmeladegläser. Inhalte höchster Qualität bekommen weiterhin überarbeitete Hüllen. Auch die Inhalte können gerne an Trends angepasst werden. Die grundsätzliche Idee wird mir aber nicht abhanden kommen: Marmelade soll nach reifem Obst schmecken und nicht in einem Konkurrenzkampf mit einem abgelaufenen Fruchtjoghurt herunterfrisiert werden von einem Ferrari auf ein Dreirad ohne Lenker und Räder.