Von Liebe und Vergänglichkeit


Vergänglichkeit zeigt sich am schönsten in Form von trocknendem Beton. Im Freibad war es ein Vergnügen, nassen Flächen beim Verschwinden zuzusehen, stundenlang manchmal. Auf einer Biennale in Venedig waren wunderschöne Filme zu sehen, in welchen eine Künstlerin mit feinem Pinsel und Wasser auf Betonflächen großartige Zeichnungen angefertigt hat, die nur wenig später verdampft sind. Das Verschwinden vermittelt merkwürdige Gefühle, sie bleiben in Erinnerung. Das Verschwinden veranlasst zur Wiederholungstat. Die betonierten Riesenstufen im Freibad, auf denen man quasi auf drei Ebenen, durchgehend an zwei Becken entlang sitzen oder liegen konnte, wurden wieder und wieder nass gemacht, die abstrakten Gemälde waren nicht erhaltbar, und die steten Tropfen konnten keine tatsächlichen Spuren hinterlassen. Wir haben keine Steine gehöhlt, dafür war die Jugend zu kurz und unsere Message nicht wichtig genug. Wir mussten die Flächen immer wieder nass machen, weil wir keine Smartphones oder Kameras hatten, dafür haben wir uns manche Bilder gemerkt, weil sie immer wieder und oft ähnlich erschienen.

Solche Beobachtungen schärfen Sinne und eröffnen Gedanken. Wir erleben gerade regelmäßig, wie ähnlich wie Wasser den Beton Geschichten das Land beflecken, in der Annahme, dass sie wie Wasser den Beton dampfend verlassen hätten und keine Rückstände bleiben würden. Wir hatten Zeit für die Erfahrung, dass nichts bleiben wird außer Wasser in einer Wolke. Ausgerechnet Wolken. Heute werden solche smart und technisch Clouds genannt und machen dicke Striche durch Rechnungen mangels Erfahrung. Diese Clouds regnen nun die verdampften Flecken herab auf unsere blitzsauberen potemkinschen politischen Dörfer wie schmieriges Öl, in denen alles so gerne neu gestaltet sein wollte. Wir haben die Figuren, die wir am Beton zu erkennen vermeinten, mit Freude erkannt, vielleicht haben wir sogar Zeichnungen mit dem Finger ergänzt, vielleicht sogar ein lächelndes Gesicht. Wir haben geplaudert und gelacht und vielleicht uns sogar Komplimente zugeworfen für besondere Eigenschaften oder Umrisse, die der eine oder die andere in einem Wassergemälde erkannt haben mag, heute tun es digitale Zeichen, die uns befremden und wohl nicht so schnell verschwinden.

Man bekommt ohnehin alles, wenn nur lange genug gefordert und gewollt wird, weil offenbar Ereignisse zurückliegen, die übrig ließen, dass jemand jemandem noch etwas schuldig wäre. Hatten wir doch auch, ein Eis oder kleine Geldbeträge oder eine Mitwisserschaft, die nicht verraten wurde, wofür ein kleiner Gefallen als Gegenleistung fällig wurde. Das war zumindest immer unser eigener materieller oder pekuniärer Einsatz, oder zumindest aus dem Taschengeld der Eltern. Heute werden öffentliche Reserven angezapft, so ist es einfacher.

Unsere Wasserflächen waren aus Zufall entstanden. Sie bildeten ab, was die Schwerkraft und die Wassermenge zuließen. Heute wird nichts den Zufällen überlassen, steuerbar soll alles sein, die Frauen vor allem. Leicht steuerbar. Niemand in unserer unmittelbaren Freibadnachbarschaft hat das Spiel mit dem Wasser und dem Beton betrieben, aber wir sind nie auf die Idee gekommen, sie deswegen für dumm zu halten. Uns hat auch niemand kritisiert dafür, warum auch? Jugend forscht. Wir haben einen Kreislauf im Zeitraffer nachgestellt, Wasser kommt auf Beton, verdampft, kommt wieder herunter, landet also irgendwann im Schwimmbecken und wird wieder auf Beton verteilt. Ich kann mich nicht genau erinnern, ob wir Liebeserklärungen auch aufgeschrieben haben, da hätten wir uns vielleicht überlegt, dauerhaftere Farben zu nehmen als Wasser, damit es hält. Vielleicht ist Wasser aber manchmal besser geeignet, weil aus Schüchternheit die vergötterte Liebe nur ja nichts davon erfährt, weil sie vielleicht unerreichbar war und das Geständnis peinlich gewesen wäre.

Eine wunderschöne Liebeserklärung erreichte uns dieser Tage, heruntergefallen aus den Wolken der gehaltenen Versprechen, alles zu kriegen, was man sich nur träumen kann. Ach, wie oft hätte ich mir gewünscht, die Zuneigung einer unerreichbaren und heimlich Angebeteten irgendwie zu erreichen. Aber wir hatten nicht die Möglichkeiten, gleich selbst unsere erwarteten Fähigkeiten zurechtzuzimmern und unsere möglicherweise für die Angehimmelte als Defizit zu betrachtenden Mankos im Vorhinein zu eliminieren. Wie gerne hätte ich in der Umworbenen Erwartungskatalog hineingeschrieben, dass einfach alles, was ich selbst bin, ihren Erwartungen genauestens entspricht, aber wahrscheinlich endet eine so erreichte Liebe in keinem Glück, wenn noch irgendwo ein Herz pocht. Heute läuft das anders. Heute funktioniert das offenbar, und wie es scheint, erfüllt sich die Liebe in voller Blüte, auch wenn sie denn interessanterweise als Geständnis lieber nicht ans Licht des Tages gekommen wäre.

Aber es scheint bei den eben doch ans Tageslicht gespülten Liebeserklärungen allen geholfen zu sein, auch wenn die Liebe brutal zurechtgebogen wurde. Der Liebende hat alles erreicht, was er sich nur wünschen konnte, weil es offenbar einer Schuld zufolge zustande kam. Das Ziel seiner verklärten Liebe braucht solche Beweise der Zuneigung täglich wie einen Bissen Brot, da seine Existenz und sein Glück sich davon zehren, von nichts anderem. Es mutet seltsam an, wenn zurechtgeschusterte Liebe als Win-win-Ereignis eingeordnet wird, es taucht der Begriff Zweckbeziehung auf. Es ist kein Herz zu finden, keine Schmetterlinge in Bäuchen, es sind Beziehungen, die Konten füllen und manische persönliche Grundstrukturen fragmentarisch befriedigen. Ach, es ist so herrlich unromantisch.

Uns will weisgemacht werden, dass die Liebe rechtens ist, aufrecht und tief, da sie nun schon einmal das Land erreicht hat. Es ist alles in Ordnung damit, sogar ein alter Mann der Familie, der warum auch immer als bunter Hund der Partei gilt, meinte in einem Interview, dass außer der Tatsache, dass die Liebenden und ihr engster Umkreis Trotteln wären es nichts gäbe, was ihnen vorzuwerfen wäre. Er hält also nur das Geturtel in den Wolken für merkwürdig, die Liebe und die Geschenke der Turteltauben seien demnach einwandfrei. Es war zu erwarten, dass die Senioren ihren jungen Trotteln den jugendlichen Leichtsinn verzeihen würden, sind sie doch ihre eigene Nachkommenschaft und ihnen umfragewertig ausgeliefert, jünger geht nicht, und sonst ist nichts. Sie sind nicht zu beneiden, die Alten dort. Wir sind auch nicht zu beneiden, aber zumindest dürfen wir nun die junge, liebende Garde von vorgestern Trottel nennen und auf die Feststellung des alten bunten Mannes verweisen. Das ist auch irgendwie Liebe…

Wir konzentrieren uns auf die eigentlichen Dinge des Lebens, gehen zurück zu den Kreisläufen, widmen uns wieder dem Wasser und dem Beton, wenn zwischendurch ein wenig Zeit bleibt für Müssiggang. Lernen wir wieder Geduld, Ärger und Zorn helfen nie. Pflegen wir die Hoffnung, vertrauen wir den Kreisläufen. Lassen wir weiterhin Wasser verdampfen und heften den Zorn daran, dass er sich in die Lüfte erhebe und mit dem Wind gehe. Malen wir den Gram auf den Beton, beissen wir nicht hinein. Lassen wir das Wasser rinnen und Eis und Schnee schmelzen. Freuen wir uns über den Regen, der neues Leben bringt. Und freuen wir uns mit ein wenig leichtem Schaudern vor den Schauern, die andere Wolken noch ausspucken werden, denn es ist wohl noch nicht alles zurückgekehrt, was noch über und unter uns schwebt, ein Schaudern, dass als einzige Gemeinsamkeit zwischen den Liebenden und uns bleibt und verschiedenen Ursprungs ist.

Vielleicht erkennen auch die Armen und Mittellosen – ich werde die Bezeichnung des alten bunten Mannes für seine Nachkommen nicht weiter benützen – die vielen Grautöne von Wolken, aber es ist zu fürchten, dass sie es nicht können. Der Regen wird ohnehin nicht interpretierbar sein, sondern einfach nur nass und klebrig. Er wird Pfützen hinterlassen, in denen sie stehen werden, und sie werden behaupten, im Trockenen zu stehen. Wie viele ihnen das weiterhin glauben wollen steht auf einem anderen Blatt, sie werden mir weiterhin Leid tun. Erheiternd finde ich die Erkenntnis des alten Mannes aber schon, auch wenn sie nicht ganz vollständig ist.