Im Zirkus


Da bleiben uns ordentlich Spucke und Strache weg. Sprache meinte ich, in diesen Tagen

ist es schwierig, die feine Klinge zu finden. Kein Kabarettist dieses Landes ist zu beneiden, zu groß ist die Konkurrenz. Waghalsige Theorien drängen sich auf, was diesen Auftritt auf den Balearen im Mittelmeer betrifft. Das Universaltief “Heinz-Johann” erreichte von dort am Wochenende Mitteleuropa.

 

Eine Theorie betrifft die Satire. Die sind uns weit voraus, uns Ahnungslosen. Wir glauben in unserer endlosen Überheblichkeit, dass es ausgewachsener Blödheit bedarf, um etwas so weit kommen zu lassen. Dass jemandem, der anruft mit der Idee, bitte schön in Österreich ein Geld loswerden zu dürfen, weil nun einmal viel zu viel davon nutzlos an den Ufern der Wolga herumliegt und wo anders bestimmt viel Gutes tun könnte, nicht die Frage gestellt wird, wie die ganze Geschichte genau aussehen könnte. Und gleichzeitig die Einladung auf ein paar Erfrischungsgetränke dankend angenommen wurde, der Rest ist Geschichte. So glauben wir aber nur dass es ist, weil wir es so wollen! Weil wir das Genie dieser Leute nicht begreifen. Und Schuld tragen ohnehin weder der Vizekanzler geschweige denn der Bundeskanzler: Es ist die Trägheit der größten Oppositionspartei, die uns all das beschert hat. Der Stillstand. Der unermessliche Stillstand, der zwar aus Österreich eines der reichsten Länder weltweit gemacht hat, noch dazu von einer im Großen und Ganzen sehr gut funktionierenden Sozialpartnerschaft aus rot und schwarz, aber eben zu still war. Ein neues Regieren musste her.

 

Die Bewegung, die dieser Starre ein Ende bereiten wollte, ist also mit ein paar Zirkusfahrzeugen – der Kanzler hat Erfahrung mit Kraftfahrzeugen – aufgebrochen, das Ziel war nicht ganz genau definiert, Hauptsache geil weg von hier. Die Reiseleitung hat versprochen, neue Wege zu beschreiten, neues Regieren zu exerzieren, einen neuen Stil. Aufbruch beschreitet in der Filmbildsprache den Weg nach rechts oben, soweit, so stimmig. Neue Wege bedeuten aber auch, dass alte Wege und Vergangenheiten hinter sich gelassen werden. Dort wollte man gleichzeitig hin, vielleicht beginnt das historische Wissen der Akrobaten erst im 21. Jahrhundert, obwohl es Zirkus schon seit langer Zeit gibt. Das erklärte, warum sie ins Schleudern kamen, weil sie den Weg in eine reaktionäre, autoritäre Vorstellung aus der Vergangenheit als neuen Weg betrachteten. Der Weg nach Hause, in die Heimat, wenn man so will, geht in der Filmbildsprache nach links unten. Es begann im selben Moment des Aufbruchs die Schizophrenie.

 

Nun sind wir alle an einem vorläufigen Zwischenziel. Der Direktor meint, sich schwebend in einer Mitte zu befinden, während der Beifahrer krachend Schiffbruch erlitten hat, auf einer nicht ganz einsamen Insel mit lustigen Getränken, die ein paar Hurraatome im Gehirn freigesetzt haben und wo Kameras mit Mikrofonen das Innerste eines zukünftigen Vizekanzlers der Republik Österreich durch sein Reden beim Denken geschenkt haben. Der Direktor schwebt tatsächlich, wo weiß er nicht. Die Nummer ist ohne Netz, das kennt er nicht.

 

Mit Spannung erwartet das Land nun das zweite Buch des ehemaligen Vizekanzlers. “Die Satire, die ich meine”. Man möchte nicht vorgreifen, welche Mengen an ungeahntem Potential sich hier über das Land ergießen werden, das nicht mehr davon profitieren wird können. Ja, es war eine besoffene Geschichte, aber die Manuskripte, die wir ab jetzt täglich aus Hurenmedien und in den Fesseln linkslinker Gutmenschen liegender Fernsehanstalten lesen, hören und sehen werden, werden uns über die russische Steppe via Moskau und gemeine, hinterhältige und silberversteinerte Routen geradewegs zurück in die verlotterte Heimat führen, die die Chance, endlich wieder einheimisch werden zu können, leichtfertig vergeben hat, was uns nicht so schnell vergeben werden wird. Es war kein korrektes Verhalten, es war, bedingt durch zu viel Alkohol, ein Imponiergehabe wegen scharfer Zähne, aber: die eigentlich Machtversessenen sitzen ganz wo anders. Das ist nun nicht einmal satirisch zu verstehen, sondern wahrscheinlich die einzig richtige Einschätzung der Beifahrer. So ist es aber nun einmal beim Zirkus. Was auch immer dem Direktor eingesagt wird, die Peitsche hat er selbst in der Hand, wobei seine Beifahrer gegen Schläge immun wären, bloß: Der Direktor hat die Peitsche nie benutzt. Es gab beim Kurs so gut wie keine Meinungsverschiedenheiten, aber in einer so schnelllebigen Zeit lebt man sich rasch auseinander. Die Fairness der Direktorenpartei ist Legende.

 

Obwohl es, wie man hört, für einige der türkisen Akrobaten durchaus noch nicht gegessen ist und Sex mit dem Ex als Variante für eine Zukunft offen ist wie das nackte Gerüst eines Zirkuszeltes. Es war ein ideologisch fantastisches Team. Kein Blatt Papier aus dem Zirkusprogramm passte zwischen Direktor und Beifahrer, wobei ersterer am Tag nach Erscheinen des siebenstündigen Urlaubswälzers aus dem Mittelmeer sehr viele Leute sehr lange für sich hat nachdenken lassen müssen, um bekannt zu geben, dass genug genug und die Vorstellung nach der ersten richtigen und einzigen Nummer, der Clownnummer, vorbei sei. Der Begriff genug hat in den letzten 18 Monaten eine Elastizität bekommen wie die berühmten fünf Minuten.

 

Als verblüffende Reaktion vernehmen wir die Worte “Jetzt erst recht”. Spätestens hier wird klar, welch unbesiegbare Gegner und Meister der Satire hier wirklich am Werke sind. Gleichzeitig ist für alle zu befürchten, dass die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel nicht gleich den Plot des ganzen Theaters in den Äther geworfen haben. Zu denken ist eher an einen ersten Akt, und in weiterer Folge könnte “Jetzt erst recht” plötzlich “Jetzt erst Recht” heißen und aus einer gelungenen Satire bitterböser juristischer Ernst werden. Der professionelle Übersetzer hat sich bereits aus dem Staub gemacht, nicht wegen Übersetzungsfehlern, sondern weil er  gelogen hat. Es gab nach dem ausgezeichneten Treffen weitere Kontakte zu den vermeintlich russischen Gastgebern. Pardon, nach dem aufgezeichneten. Das wurde lauthals in Abrede gestellt.

 

Bis jetzt geht es nur um die Beifahrer, die eineinhalb Jahre Wirbel und Unfug treiben, also proben  durften, wie es ihnen gefiel, dem Direktor hat es offenbar bis auf zwei oder drei Szenen auch sehr gut gefallen. Dieser beherrscht das Handwerk der Satire nicht so geschmeidig und möchte aus diesen zwei, drei Szenen das ganze Stück jetzt madig machen, obwohl die Regierungszeit mit ihnen der einzig richtige Weg – und gut so – war. So geht Schizophrenie, da gibt es keinen Platz für Satire. Die balearische Sitcom klebt am Kanzler wie der Schleim brauner Nacktschnecken. Die Beifahrer haben sich nicht heimlich hinten ins Zirkuszelt geschlichen, sie wurden herzlich eingeladen. Da waren deren satirische Fähigkeiten längst bekannt.

 

Kassandra war nie von Bedarf. Dass diese Reise nicht sonderlich erholsam sein würde war von Anfang an klar. Und zwar für alle. Keine Erholung. Nicht nur für jene, die diese Reise mitmachen mussten, weil es noch nicht genug Gründe zum Davonlaufen gab, sondern auch für viele, die meinten, dass etwas Besseres kommen würde. Dass aber ein so abruptes Ende so früh und spektakulär einschlagen würde wie die berühmte Bombe war natürlich nicht abzusehen. Während gleichzeitig überrascht, dass es so viele überrascht, alles nämlich. Aber hier schneiden wir uns nun, in der Annahme, dass Dilettanten am Werk seien, obwohl es sich um ausgefuchste Akrobaten der Satire handelt. Jetzt haben sie es uns gezeigt. Dem Zirkusdirektor verschmiert die Schminke. Er ist sehr plötzlich sehr einsam, niemand ist gut genug für einen von seinem Format. Wir widmen ihm zwei Textzeilen von Elvis Costello, aus seinem großen Song “Alibi”, gerade ein Zirkusdirektor sollte sich diese Worte sehr zu Herzen nehmen:

 

“And you don’t need anybody, alibi, alibi
But you are the only one who knows this, alibi, alibi”

 

Das ist vielleicht satirisch gemeint, vielleicht auch nicht, für den Zirkusdirektor spielt das aber keine Rolle. Er würde es so oder so nicht verstehen.

 

Als Trost haben wir eine andere Textzeile aus dem selben Song für ein Leben nach dem Zirkus, da ist auch nichts falsch zu verstehen und würde ihm, seiner Selbsteinschätzung nach, halbwegs gerecht werden; vielleicht wäre es auch was für Sprache. Für Strache, pardon.

 

“Maybe Jesus wants you for a sunbeam, alibi, alibi”

 

 

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