Der Frankfurter Stadtwald, im Volksmund auch „Krachwald“ genannt, ist derzeit ein beliebtes Ausflugsziel. Bevor das Corona-Virus die ganze Welt und damit auch das Rhein-Main-Gebiet heimsuchte, war dies nur begrenzt der Fall. An der Bussard- und Goetheschneise, sonst als „Dieselschneise“ verschrien, ist nun Vogelgezwitscher zu hören. Der etwas eintönige Meisengesang, bestehend aus zwei Tönen, aber auch das einer Holzklapper ähnelnde Hacken des Spechtes sind nun deutlich zu hören.
Mit dem Flughafen und dem Frankfurter Kreuz ist Frankfurt am Main einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte in Deutschland und Europa. Nachdem der Flugverkehr beinahe komplett eingestellt wurde und auch der Autoverkehr nur noch in Spurenelementen vorhanden ist, hat sich der von Straßen durchschnittene Stadtwald zum idyllischen Ausflugsort entwickelt: Hundefreund*innen und Kleinfamilien streifen ungehemmt durch Wald und Flur.
Die gemeine Städter*in erschrickt, wenn das Knarren der Bäume vernehmlich wird. Eine befreundete Autor*in hatte einmal, kurz vor einem Abgabetermin, behauptet, sie habe einen Text nicht fertig stellen können, weil die ganze Nacht der Baum vor ihrem Fenster so laut geknarrt habe. Mit Sicherheit eine etwas fadenscheinige Ausrede, aber dennoch, im stillen Stadtwald geht einer das Knarren durch Mark und Bein.
Spaziergänger*innen mit Corona-Masken brechen durch das Gebüsch und zeigen dabei eine große Ähnlichkeit mit dem exotischen Papageientaucher. Vielleicht gleicht sich der Mensch nun umgekehrt der Vogelwelt an?
Das gleichmäßig-monotone Verkehrsrauschen ist wie auf Knopfdruck ausgeschaltet. Für die Zivilisationsgestählten sind damit sicher auch Ängste verbunden. Eine Fahrradfahrer*in trägt, um die entgegenkommenden Insektenschwärme abzuwehren, einen Hut mit Schleier. Für den Fahrradausflug gilt: Mund zu! Wenn man keine Insektenliebhaber*in ist.
Das unter der Großstadtjugend verbreitete geflügelte Wort „Igitt Natur, ich liebe Beton pur“ ist, nachdem man den Insektenschwärmen entkommen ist, zumindest nicht gänzlich unverständlich. Oder wie es die Band S.y.p.h. in ihrem 1980 erschienen Lied „Zurück zum Beton“ auch formulierte: „Blauer Himmel, blaue See, hoch lebe die Betonfee, keine Vögel, keine Pflanzen, ich will auf dem Beton tanzen.“
Eine Exilgroßstädter*in schwärmte einmal von dem wunderbaren Geruch nach verbranntem Gummi in den Frankfurter U-Bahnen…
Das für Großstädte typische Gedränge ist gänzlich verschwunden. Die Masse als Protagonist*in hat sich scheinbar aufgelöst. In ihr lauert ja nun die Gefahr des Virus. Auch der sonst hoch frequentierte Frankfurter Hauptbahnhof unterscheidet sich derzeit kaum von einem Bahnhof der Provinz. Ein ewiger Sonntag ist angebrochen: Nur wenige Reisende verweilen auf den Sitzbänken, einzelne Besucher*innen bewegen sich schleichend und scheinbar ziellos durch die leeren Hallen, die meisten Läden sind geschlossen. Der sonst berüchtigte Almabtrieb, in dem geschäftige Horden durch Halle und die Einkaufspassage strömen, das Gedrängel an S- und U-Bahnzugängen – einfach weg.
Bei der von einigen nun proklamierten „Rückkehr zur Natur“ kann es sich jedoch nur um eine Illusion handeln. Eine unberührte, oder irgendwie nicht geformte Natur existiert bekanntlich nicht. Die strikte Trennung zwischen Natur und Kultur, ist, wie Kulturwissenschaftler*innen wissen, nur eine Vorstellung. In den sozialen Netzwerken tauchen mit der Krise auf der einen Seite absurde Montagen auf, in denen Delphine in den Kanälen von Venedig eifrig um die Wette hüpfen, aber auch menschenverachtende Ideologien. Wenn der Mensch am Virus stirbt, so die Idee, kann die Natur sich endlich ausbreiten, aufatmen etc. Abgesehen davon, dass der Mensch selbst Teil der glorifizierten Natur ist und nicht ihr Gegensatz, kann eine Bejahung des Todes (zum Zwecke der Fortexistenz des großen Ganzen – hier der imaginierten Natur) getrost dem Faschismus zugeordnet werden. Sozialdarwinismus und Klassismus geben sich auch in der Krise die Hand. Mit Begriffen wie „Durchseuchung“ wird in Kauf genommen, dass Menschen sterben, damit der Laden weiter laufen kann. Die Diskussion der Triage und ihre Anwendung in Spanien und Italien zeigt, was es heißt, wenn die Behandlung von Patient*innen an Erfolgsaussichten gekoppelt wird. Die Folge eines Mangels, verursacht auch durch die Europäische Sparpolitik, fordert hier ihre Opfer. In Ideologien, in denen Menschen als Virus betrachtet werden, die die Erde „befallen“ und eine offene Freude über den Tod von Menschen geäußert wird, zeigt sich, wie Autor*innen wie Jutta Dittfurth und Natascha Strobl analysieren, die Ideologie des Ökofaschismus. Übrigens eine Ideologie mit langen Traditionslinien.
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