Grande herbst


Eigentlich sollte man nicht lange nachdenken, um eine Collection anzudenken. 20 Jahre KIG! sind eine breite Spanne. 1999 ff. – der Bogen. Ein Teil der Antwort auf die Schüssel-Haider Koalition, eine kreative Verantwortung, die sich „Kultur in Graz“ auf die Feuerbachgasse geschrieben hat. Wie links das „Gsindl“ auf den T-Shirts und den rechtslastigen Gehirnhälften auffällt, wie auffallend das Wachstum der letzten Jahre. Dass die Hofer über der Schütte-Lihotzky ihren Balkon ausbreitet und Joseph Beuys in Überlebensgröße das Stiegenhaus auskehrt, bestätigt nur die Kunst in Aktion. Und dafür steht KIG! seit Jahren. Collection Art steht für Organisationswerkstatt, Produktionswerkstatt, Kunstvermittler, Label, Künstlersozialwerkstatt, Bildungs-und Ausbildungswerkstatt. Dass das Volkshaus mit seiner kommunistischen Struktur – übrigens die einzige Struktur, die unabhängige Kunstinitiativen einbindet – einen kunstsozialen Lichtblick innerhalb der türkisblauen, sich eingrauenden Politlandschaft bildet, scheint innerhalb der Veranstaltungprofile mehr als deutlich. Collection Art könnte auch ein Collection-Film sein, eine mediale Ansammlung aus vielen Ausstellungen, Festivals und Initiativen, ein über die Jahre entstandenes Gesamtkunstwerk. Dieses gilt es anzuerkennen und zu sehen. Aus der Kunstgeschichte ins Jetzt transportiert. Sammlungen sind oft Konserven, in sich geschlossene Systeme, themenspezifisch konserviert und intern abgeschottet. Thematiken, die hierzulande gerade militärisch angehaucht eine Camouflage bilden. Der Künstler Walter Köstenbauer – ent.tarnung.mensch – enttarnt das Camouflagekonzept, während die Volksfront den Volkshaussaal in Medien-Vintage aufbereitet hat. Stan Ridgways Gitarre ist hierzulande unbekannt versunken, aber heute ist Tarnung Mode und die Pumagrenzschutzeinheit des Innenministers Kickl arbeitet nach ähnlichen Musterfeldern wie jene G.I.s in Afghanistan, die Harun Farocki im Untergeschoss des Künstlerhauses „ernste Spiele“ treiben lässt. Militärische Simulationen, virtuelle Simulationen, Künstliche Manöverstädte und deren Komparserie zeugen von kollateralen Simulationsdefekten – vor allem dort, wo afghanische Stammesfürsten versuchen, G.I.s zum Sport zu überreden. Mehr schlechtes als ernstes Schauspiel. Und doch todbringend ernst. Die Ausstellung von 12 Künstlerinnen im Künstlerhaus mit dem Titel „Artificial Paradise“ – mit Fragezeichen (?) – wobei das todernste Spiel immer den Tod im Auge hat, eine Sonne ohne Schatten eben. Auch an der Außenfassade toben Kriegs- und Folterszenarien, die aus der Arbeit „Happiness (finally) after 35,000 years of civilization“ von Paul Chan entlehnt sind. Auf der Flucht vor diesen todernsten Glücksspielen ziehe ich mich in die virtuelle Cyberwelt nach Bora Bora zurück – „Primal Tourism“ von Jakob Kudsk Steensen – und wandere als cam-eye über den Pazifik und um das Archipel, jedoch ohne wenigstens Freitag zu treffen – der dürfte im Keller als eingeborener Sufi-Clanchef gelandet sein? Die Menschenlehre hat verstörende Wirkung, die Wäsche hängt noch, bevor die Wasserspiegel steigen. Meine Empfehlung, übers und ins Wasser zu gehen – ebenso ein ernstes Unterfangen. Ein todernstes Spiel ohne die Menschen eben. Ein künstliches Paradies hat sich aus dem einstigen Paradeparadies herausgebildet, der Primal-Tourismus hat werbestrategisch – wir sind im 3. Krieg – die Archipellatio ausgerufen als den schlussendlichen Werbebanner: „Kommt doch noch vor dem Versinken!“. Last Chance – Venedig steht auch noch. Der Paradiesbegriff wird hier noch künstlich hochgehalten und der Garten kreiert sich bis auf die Menschen noch lebendiger für alle die sich von Ur-Anfang an in die Lebensbaumwelt hineinversetzen wollen, in ein eigenwilliges virtuelles Blend-und Blattwerk. Der Lebensbaum ist in diesem artifiziellen Paradies mit dem Insektenauge schwer auszumachen, zumal ja seine Blätter der Camouflage im militärischen Sinne dienstbar gemacht wurden – eine Schöpfung, die in Gefahr gekommen ist. Ob man jene Intelligenzen als künstlich bezeichnet oder das Paradies artifiziell mit Fragezeichen besetzt, so stellt sich dem Garten Eden widersprüchlich ein Gegenüber entgegen, jenes Antiparadiesische, das sich die Kunst angeeignet hält. Und für alle anderen, die nun den Verlust beklagen, könnte man an die Ausstellung „Homo Faber“ auf San Giorgio Maggiore in Venedig erinnern, wo eine Vielzahl an Gästen mit eben diesen dunklen Cyberbrillen in die Werkstätten und das Kunsthandwerk eintauchten, wie in eine Inszenierung der zukünftigen Zeitgeschichte, um den apokalyptisch besetzten Werkbegriff wieder neu zu definieren. Im Innenhof eine gläserne Mauer die sich im Farbspektrum einer Sonnenbrille spiegelt. Hier braucht man weder Tarnen noch Fragezeichen in den virtuellen Raum zu setzen. Weiter hinten im Garten, hinter dem Granatapfelbaum steht Norman Fosters luftig-durchlässige Kapelle. Als ich dann die Brille abgenommen habe, war mein Sehnerv plötzlich geschärft. Das muss entweder am Garten oder am Vaporetto liegen, das den Canale überquert hat.

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