gesamtsituation: tausend jahre fuffziger.


das mit der rede von georg friedrich haas beim festakt zu fuffzig jahren steirischer herbst, das hat inzwischen jede_r mitbekommen, den_die’s interessieren könnte, oder? – wie es des erfolgreichen onkels aus amerika bedurfte, um uns hier, hinter den sieben bergen bei den sieben liebenauer schrebergartenzwergen auf den sieben unaufgearbeiteten massengräbern, noch einmal vorzubuchstabieren, wie das mit unserem zeitgenössischen kunstundkulturbetrieb im lande ist … dass sich, was an ihm irgend erfreulich ist, der abgrenzung von und des abwehrkampfes gegen die vielen altnazis in den instanzen und in der bevölkerung verdankt, wie er auch in den sechziger jahren noch nach kräften geführt werden musste … wo also dieses bündnis von ästhetisch und politisch fortschrittlichen haltungen hierzulande einstens herkam; diese automatische gewissheit, dass, wer sich beruflich mit moderner kunst im weitesten sinn beschäftige, nur einer von den guten sein könne, ein verlässlicher antifaschist und überhaupt … dieser vorschein selbstverständlichen alignements, auf dem sich die kulturschaffenden sowie -verwaltenden bewohner unserer immerhin stadt der volkserhebung zusehends gechillter ausruhen konnten, je weniger sie tatsächlich auskunft geben mussten, worin denn ihr antifaschismus, das genuin fortschrittliche oder aufklärungsaffine ihrer kunst bzw. ihres g’schaftelns im einzelnen bestünde …

wir erinnern uns: auf das kulturelle bzw. theoretische feld konnte nach ’45 ausweichen, was in der rauen wirklichkeit – vor beispielsweise stalingrad – geschlagen und gescheitert war. über blut und boden, über wirtschaft und politik durfte man als junger österreichischer staat die zahlreichen braunversifften notablen noch nicht gar so offen reden lassen, wie diese es im grunde ihrer mördergruben herzen wohl gern gewollt haben würden; aber: über die reinheit ostmärkischen kunstempfindens und über das wahreguteschöne, da durften sie schwätzen und wider welschen tand bzw. negermusik aufbegehren lassen. da gings erstmal um nix, also: nicht um zu bauende fabriken und abzuschließende exportverträge oder so. deshalb wurde das kunst-und-blabla-feld ein vergleichsweise ungefährlicher kontext für die nomenklatur der proporzrepublik spätestens der späten fuffziger jahre, um einerseits angebote zu machen (in stetiger rot-schwarzer konkurrenz erst an die zahlreichen altnazis, später an die weltoffen, ggf. gar fortschrittlich gesinnten nachgebornenen) und andererseits weltanschauliche stellvertreterkonflikte als amtsintrigen auszutragen.

herr haas hat also die spezielle kontingenz runterdekliniert, aufgrund derer wir zeitgenossen zwischen aktueller kunst, repräsentation und unterhaltungsindustrie uns fühlen, wie wir uns fühlen (obwohl die selbstverständlichkeit dieses gefühls augenscheinlich an allen ecken wegbröckelt). dabei gings gar nicht um “uns” in jener rede, sondern um geschichte und gegenwart steirischer altnazi-seilschaften, und um ihren unabsichtlichen einfluss auf den lauf der dinge – hätte nicht ’63 irgend so ein inferiorer blut-und-boden-heini einen landespreis für literatur umgehängt bekommen, und zwar nicht trotz, sondern wegen seiner ns-connections, dann hätte sich vielleicht (so haas) hanns koren seligen angedenkens nicht genug vor der geschichte geniert, um die einrichtung eines steirischen festivals eigens für das gegenteil von blut-und-boden zu betreiben … welches betreiben 1967 den ersten steirischen herbst nach sich zog …

was haas dann wohl nicht mehr absichtlich sagen wollte, aber was doch nachhallt, ist dass es auch anders hätte kommen können: nichts am kunstundkulturbetrieb selbst ist intrinsisch fortschrittlich. tatsächlich ähnelt das personal, das zwischen steirischem herbst, documenta kassel und london fashion week diesen betrieb äh betreibt, für den sogenannten normalbürger zusehends ca. so aus wie die champagnerschlürfenden metrosexuellen aus district I in hunger games; und die abwesenheit des offen reaktionären schwachfugs zumindest im hochsubventionierten repräsentativsegment muss immer wieder neu erkämpft und allzeit wachsam bewahrt werden.

danke daher an den festredner des 14. 09. 2017; es haben ihn alle gehört, die so zeugs wie seine rede überhaupt mitverfolgen; so, wie 2011/12 die sehr hörenswerte peter-weibel-rede zur selbstsetzung der moderne und zu vermischten fragen steirischer intrigenscheisse in aller munde war, ist es nun diese hier … aber es gibt da eine gemeinsamkeit der beiden reden, einen entscheidenden punkt, der 2011 von weibel in seiner rede selber mitreflektiert wurde, den aber 2017 anscheinend alle, die sich öffentlich drüber äussern, unter die schreibtische fallen lassen:

das nicht-öffentliche setting.

nun wäre es kaum statthaft, sich an dieser stelle ernstlich darüber aufzuregen, dass ausgerechnet der festakt zu fuffzig jahren steirischer herbst unter ausschluss der öffentlichkeit stattfand, vor den zu erwartenden geladenen gästen aus kunst, wirtschaft und verwaltung stattfand. es hätt’ den unterton des neidigen nichteingeladenseins, und es tönte außerdem antielitär – und zwar antielitär in dieser speziell verballhornten form nach art der reichsbürger und der minder artikulationsbereiten fpöler – wenn man etwan beleidigt fordern wollte, es sei den angehörigen der nomenklaturen, die an der abwicklung von förderkram beteiligt sind, fürderhin verboten, sich nach getaner arbeit gegenseitig auf ihre schultern zu klopfen und sich in eigens beigebrachter wichtiger gesellschaft (weihbischof capellari, zvonimir von der cateringfirma) brötchenessend wichtig zu fühlen … sollen sie. der sprichwörtliche bär sch***t ja auch im wald. was solls? …

ach … es fällt halt auf. das mit der nichtöffentlichkeit. weil: gesamtsituation. schon auch wegen der rede von haas, aber vor allem dann doch wegen der gesamtsituation. weil es ausgerechnet die fuffzigjahrfeier sein musste, also: gerade jener anlass, der “fuffzig-jahre-festakt” oder so ähnlich ausdrücklich hieß, bei dem die geld- und kunstfunktionäre unter ausschluss des kunstproduzierenden wie -konsumierenden fußvolks ihre paar ansprachen und ihre nüchtern betrachtet eh nicht gar zu spannenden applausrunden absaßen.

die gesamtsituation ist nämlich die: wir haben wieder leute in politik und medien sitzen, vielleicht auch schon, wer weiss, in den verwaltungen, denen nicht mehr uneingeschränkt zugetraut werden darf, dass sie den oben geschilderten minimalkonsens intus haben, der da ungefähr lautet:

erstens: nazis sind scheisse. zweitens: heimat-pathos-humptata ist jetzt eher nicht so super und muss nicht noch gefödert werden, denn drittens: moderne kunst sollte nicht nur zu affirmations- oder repräsentationszwecken dienen, sondern auch zur förderung und zum vorantreiben gesellschaftlicher denkprozesse; gerade dann ziert sie das sie fördernde gemeinwesen besonders, wenn sie sich auch mitunter gegen és selbst wenden kann. viertens: echt jetzt – nazis sind scheisse.

und es stärkt zwar unser vertrauen in die medienlandschaft und das aktuell zuhandene personal, dass eine rede wie die von haas noch “nach draussen dringen” konnte. aber noch schöner wärs, die frage nach dem vertrauen stellt sich gar nicht, weil eh klar wäre, dass alles öffentlich und glasnostig vonstatten geht.