Antisemitismus in der Linken


Selbst- und Fremdwahrnehmung driften bekanntlich auseinander. So stellt sich schon bei Überlegungen zum betrachteten Feld die Frage, welche Gruppen man als „links“ einordnet, und es ist nicht unbedingt immer ratsam, von den jeweiligen Selbstbezeichnungen auszugehen.
In Deutschland und Österreich werden derzeit bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen bekanntlich Naziembleme, Friedenstauben, Regenbogenfahnen und Herzchenluftballons getragen. (Auch einzelne Demonstrierende verwenden die Selbstbezeichnung links, worauf man eigentlich nur antworten kann: „Nein, seid ihr nicht.“)
Im Kampf gegen Antisemitismus ist es für die, die er ganz konkret bedroht, erstmal relativ unwesentlich, welcher Gruppe sich die Täter_innen zuordnen. Der Forscher Ismail Küpeli weist in einem Interview mit der Bildungsstätte Anne Frank darauf hin, dass die antisemitischen Narrative, die darauf angelegt sind, Hass gegen Jüdinnen und Juden zu schüren, sich oft gleichen, ob er nun bei Islamist_innen, Rechtsextremen, in der Mehrheitsgesellschaft, oder bei Linken auftaucht. Als Beispiel nennt er das antisemitische Narrativ der Familie Rothschild als Strippenzieher, die das Weltgeschehen lenkt.
Spätestens seit den 1990er Jahren wurde in der Linken ein Versuch der Aufarbeitung der eigenen antisemitischen Traditionslinien unternommen. Dies betraf zum einen das Problem der verkürzten Kapitalismuskritik, die, anstatt kapitalistische Strukturen zu analysieren und zu kritisieren, personalisiert. Schuld ist also allein der böse Kapitalist und nicht mehr das System oder die Struktur. Zum Verstehen der Struktur tragen diese Feindbilder nichts bei. Darüber hinaus sind sie anschlussfähig für antisemitische Narrative wie das über die Familie Rothschild.
Die andere linke Traditionslinie, die kritisch betrachtet werden musste (und muss), ist die des Antiimperialismus. In der einfachsten Dichotomie geht der Antiimperialismus von Unterdrückenden und Unterdrückten Völkern aus. Eine Aufteilung in Schwarz-weiß, gut-böse. Ein differenzierter Blick auf die reelle Situation in den Ländern wurde dadurch oft versperrt. In der Geschichte der BRD führte dies nach 1968 zu katastrophalen Allianzen. Nach dem 6-Tage-Krieg kippte die anfängliche Solidarität mit Israel in der Linken. Israel wurde nun von vielen vor allem als imperialistische Macht im nahen Osten wahrgenommen und nicht mehr als Zufluchtsort der Überlebenden des Holocaust.
Von einigen wird dieser Stimmungswechsel auch an der Positionierung der Bild-Zeitung auf Seiten Israels festgemacht. Wieder andere sprechen auch von einem schon vorher dagewesenen Ressentiment, das sich nun frei äußern konnte.
Der Journalist Georg M. Haffner erinnert in seiner Dokumentation von 2012 „München 1972 – als der Terror zu uns kam“ an die Serie von antisemitischen Terroranschlägen und die Beteiligung „linker“ Akteure aus dem Umfeld der revolutionären Zellen, der RAF und der Kommune I. Mit der Dämonisierung des israelischen Staates und der bedingungslosen Solidarisierung mit der palästinensischen Befreiungsbewegung wurden Terroranschläge gerechtfertigt. Auch wenn in den Flugschriften meistens „Zionisten“ als Feinde markiert wurden, richteten sich die Anschläge gegen Jüdinnen und Juden.
Die Rechtfertigungsstrategie solcher Anschläge scheint zum einen auf einer Dämonisierung des jüdischen Staates aufzubauen, zum anderen aber auch auf der Haltung, dass den als Unterdrückte markierten im Kampf gegen die Unterdrücker jedes Mittel gestattet werden sollte, und sei es der Mord an Zivilist_innen.
Dichotome Weltbilder und eine sehr einseitige Schilderung des Nah-Ost-Konflikts finden sich auch heute auf Pro-Palästina-Seiten und sogenannten Friedensinitiativen. Auch hier sollte in Frage gestellt werden, ob es sich bei dieser Bezeichnung nicht um einen Euphemismus handelt. Wenn es den Akteur_innen wirklich um ein Eintreten für die palästinensische Bevölkerung gehen würde, müsste ihr Fokus sich weiten und bspw. auch die Gewalt der klerikal-faschistischen Hamas in Gaza thematisieren. Stattdessen ist vom Aggressor Israel die Rede, dem die Schuld für alles Unbill gegeben wird. Was auf solchen Seiten ebenfalls nicht zu finden ist, ist die Geschichte der palästinensischen Selbstmordattentate gegen die israelische Zivilbevölkerung und der Raketenbeschuss aus dem Gaza gegen israelische Städte. Wem wirklich daran gelegen wäre, zu einem Frieden beizutragen, würde nicht die eine Seite der Konfliktspirale verschweigen.
In den vergangenen Jahren fanden zahlreiche Diskussionen zur BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) statt. Der Bewegung geht es um den Boykott israelischer Institutionen und Personen auf allen Ebenen (akademisch, ökonomisch, kulturell). Dies wird jedoch auch immer wieder auf Jüdinnen und Juden, die keine Israelis sind, ausgeweitet, mit dem Argument, sie distanzierten sich nicht ausreichend vom Staat Israel. Obgleich schon das In-Eins-Setzen von Staatsbürger_innen mit dem Staat, in dem sie leben, mehr als fragwürdig ist, zeigt sich in der Ausweitung eine zusätzliche Problematik, da Jüdinnen und Juden damit für die Politik in Israel als verantwortlich subsumiert werden.
Die BDS-Bewegung behauptet, dass es sich bei Israel um einen „Apartheitsstaat“ handle und zieht damit den Vergleich zu dem Regime in Süd-Afrika. Der historische Vergleich hinkt an verschiedenen Stellen. So haben palästinensische Israelis sowohl das Wahlrecht, mehrere arabische Parteien sitzen in der Knesset und der Zugang zu Universitäten ist für palästinensische Israelis nicht beschränkt. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Die BDS-Bewegung bestreitet zwar, das Existenzrecht des Staates Israel in Frage zu stellen, tut es aber durch seine Zielsetzungen dennoch. Die Durchsetzung ihrer Forderung des vollständigen Rückkehrrechts für alle palästinensischen Flüchtlinge ist mehr als problematisch, weil der Flüchtlingsstatus vererbbar ist, womit sich die Anzahl der damals Geflüchteten und Vertriebenen um ein Vielfaches erhöht hat. Deren Aufnahme würde also eine Zerstörung Israels, zumindest als jüdischen Staat, bedeuten.
Während in Deutschland und Österreich zumindest auf vielen administrativen Ebenen entschieden wurde, nicht mit BDS zusammenzuarbeiten, bzw. der Organisation auch keine öffentlichen Räume zur Verfügung zu stellen, stellt sich die Situation in Großbritannien und USA deutlich anders dar. (In Deutschland und Österreich rief der Slogan „Boykott Israel“ wohl doch Erinnerungen an die eigene antisemitische Vergangenheit wach).
Auch beim BDS liegt eine einseitige Fokussierung auf den Staat Israel als alleinigen Verursacher der Probleme im Nahen Osten vor. Auch bei ihm gibt es bspw. ein Schweigen über die Gewalt der Hamas. Der Sozialwissenschaftler Ingo Elbe weist darauf hin, dass sich in der Organisation gemäßigtere Kräfte mit als Terrororganisationen eingestuften Organisationen wie der Hamas und dem islamischen Dschihad verbunden hätten.
Damals wie heute gälte es innerhalb der Linken, sich von solchen Organisationen abzugrenzen und deren Agenda auch auf antisemitische Inhalte hin zu untersuchen. Eher mit positiven Konnotationen verbundene Namen und abstrakte Forderungen, wie die nach Frieden und Freiheit, können tatsächliche Kooperationen mit Terrororganisationen und antisemitische Feindbilder (oft nur notdürftig) verdecken.

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