Im Spätsommer 2015 war ich mit einem Jugend-am-Werk-Bus mit in die Schwarzl-Halle gefahren, um die spontane Hilfeleistung des Fachtrainers direkt mit der Kamera zu begleiten. Ein Kurzvideo entstand, das das Facility Management wieder von der Youtube-Liste nehmen ließ. Eine für mich unverständliche Maßnahme. Vielleicht wollte man den Menschen kein öffentliches Gesicht geben, die damals busweise von der Schwarzl-Halle nach Braunau gefahren wurden – dann weiter nach Bayern/Deutschland. Am Sonntag, den 08.07.2018 zeigt Heinz Trenczak den ersten Rohschnitt von 3400 Semmeln. Auch dieser Dokumentarfilm hatte seinen Anfang in der Schwarzl-Halle. Damals wurden 3400 Semmeln für die ankommenden Flüchtlinge bestellt. Der Regisseur Heinz Trenczak versuchte in dem Film ein völlig neues System – das des Ausschwärmens. Dabei entstanden eigenständig spannende Filmsequenzen, welche die Flüchtlingshotspots dokumentierten und HelferInnen über die Jahre begleiteten. Über die Schwarzl-Halle hinaus wurden Protestcamps, die Silos Triest, Hotspots in Griechenland, Spielfeld, Graz, Flüchtlingsquartiere in Bärnbach, Aktionen im Alpengarten Rannach oder in Mureck sowie die Bildungseinheiten der Uni-Graz begleitet. Schwarmweise bewegten sich die Kameraaugen, die dem Film einen vielschichtigen Stil geben – wie die Menschen, die sie begleiteten – und es wurde eine Ansammlung an Sequenzen geschaffen, die zeitgeschichtlich schon als Dokument zu werten ist. Und das gerade jetzt, wo die österreichische Regierung über die „deutsch-deutsch“-Entscheidung in Asylfragen „verstört“ wirkt. Die permanenten Abschiebemanöver erscheinen im Angesicht der letzten drei Jahre filmisch nun mehr als bedeutsam. „Lernen Sie/wir Geschichte!“ – sehen wir uns dieses Filmdokument, die Wahrheit über neue Grenzziehungen im geistigen wie auch im frontnationalen Kontext, an. Grenzen, die sich längst manifestierten, eine Innen- wie Außengrenze. Haltungen von Trotzburgcharakter, ein politisch-zynischer Jargon, der bei der Problematik der Flüchtlingsströme völlig unangebracht klingt. Vielmehr fällt einem kriegstreiberische Rhetorik auf, die sich wie ein ewiger Verfolger auf die Rücken von notleidenden Flüchtlingen legt. Kanzler Kurz redet sich immer tiefer ins Gewirr zwischen Grenzschutz und Lagerbau außerhalb von Europa. Man will da offensichtlich – unter sich – auf welche europäische Idee anstoßen? Und dabei verkennt man die zentralen Basisrichtsätze der Union, ihrer Vorbilder und die ihrer Gründerväter. Historische Nachhilfe wäre da dringend angebracht, aber stattdessen bekommen wir in der „Zeitung Österreich“ serviert, dass die Regierung „Gesetze durchpeitschen“ wolle. Von welchen Ungeistern der Paranoia wird dieses Land gerade in eine rückwärtige Sackgasse manövriert? Während Ärger sich über die humanitäre und soziale Nichtanteilnahme ausbreitet, werden Polizeipferde aus Bayern bestellt. Wir sind also im 21. Jahrhundert angekommen. Dabei verroht Sprache wie die Umgangsform. Allein Satiriker gewinnen Stoff. Und 3400 Semmeln zu bestellen wäre heute in der ursprünglichen Form schwer mehr möglich. Die Puma-Einheit unserer neuen Landesverteidigungsmaschinerie würde auch das verhindern wollen. Dabei ist „Puma“ keine heimische Wildkatze. Das heimische Eichkatzerl war unserem Innenminister offenbar nicht abschreckend genug. Die Taktik zielt auf Abwehr und Aushungern. Dagegen stellt sich die Aktion „Schmusekatze“, die fast zeitgleich mit der Filmpräsentation an der Grenzbrücke in Bad Radkersburg von der GKP – Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik – durchgeführt wird. Die Spielfelder verlagern sich, wobei die Zeitachse sich zu krümmt. Wie weit diese gerade stattfindende Retraumatisierung ganze Bereiche ausdörrt und zu blockieren droht, wird sich weisen. Österreich galoppiert etwas verblendet und blendend zugleich weiter in Richtung Kavallerie. Größenwahn ist und war hierzulande tief verwurzelt. Vom Tierschutz ganz zu schweigen. Man darf schon gespannt sein, wie weit der Dokumentarfilm 3400 Semmeln die humanitäre Richtigstellung schafft und die menschenrechtliche Lücke füllt. Die Kinoendfassung wird zu Jahresende erwartet. Eine Diagonale-Programmierung ist aufgrund des Dokupreises für Nikolaus Geyrhalters Grenz-Doku über den Brenner zu erwarten. Das zukünftige Filmpublikum kann zwischenzeitig nur dazu aufgefordert werden, zweiseitig wach zu bleiben. Sehend und hörend zugleich. Den Spuren und Filmprotagonistinnen folgend, um einem neuen „Bajuwarien“ entschieden entgegenzutreten und sich weder der einen noch der anderen Seite zu unterwerfen. Von einer houellebecq’schen Unterwerfung kann hier nicht ausgegangen werden. Dafür aber stehen basisdemokratische Grundwerte und Rechte im Vordergrund. Und dazu gehört ebenso ein voller Magen – wie durch 3400 Semmeln. Und etwas weniger Gulaschkanone. Ob diese Semmeln dann Aufbackware aus China waren, haben wir Ausgeschwärmten nicht überprüft.
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