Selbstkritik, und Anmerkungen zu Alex Garlands “Civil War”


Letzens schrieb ich an dieser Stelle über Villeneuves Dune-Film. Ich fand ihn unleugbar wirksam, aber unangenehm ambivalent. Einerseits der kritische, explizit politische Impuls des Stoffes, der auf ekelhafte Wirklichkeiten weist, und zwar viel unverklausulierter, als Sci-Fi das sonst oft tut – und aber andererseits die glatte, zugleich durchschaubare UND (an mir selbst!, in Echtzeit einzusehen!) wirksame Überwältigungsästhetik! Am Ende postulierte ich, gegen alle guten Regeln der Literatur- und Filmkritik, was der Film hätte tun sollen, um meinem Anspruch an ihn gerecht zu werden. Ich schrieb da unter anderem dies:

Die Distanz zwischen Emphase und Wirklichkeit, die in Herberts Buch gut abgebildet ist, wäre im Film nur um den Preis durchzuhalten, dass das Ganze “keinen Spaß mehr machen” würde, also verlässlich kein Geld einspielte und aus dem Erinnerungsraum dessen, was man Popkultur nennt, rausfiele: (…)
Oder die ganze Gewalt halt einfach nicht sexy machen, sondern ausschließlich Leute zeigen, die elendiglich verrecken (“Come and see” hat das gut hinbekommen).

Wenige Tage, nachdem ich das so geschrieben hatte – die Rezension war noch nicht einmal erschienen – kam ich überraschenderweise dazu, einen anderen Film zu sehen, einen, der meine Forderung vollgültig erfüllte, bei der Darstellung von Menschen im Krieg “keinen Spaß mehr [zu] machen”. “Aus dem Erinnerungsraum dessen, was man Popkultur nennt” scheint er trotzdem nicht rauszufallen, und die Kasse stimmt wohl auch, wenn wir Ressourcen wie Youtube, Rottentomatoes usw. glauben dürfen – von der professionellen Filmkritik ganz geschwiegen. Die Rede ist von Alex Garlands “Civil War”.

[Spoilers!]

Die Handlung von “Civil War”, soweit sie die Hauptpersonen betrifft, ließe sich ohne Abstriche vor der Folie jedes beliebigen real existenten Kriegsgebiets der Erde erzählen: Die junge Pressefotografin (Cailee Spaeny) Jessie erlernt unter dem Eindruck der Unmenschlichkeiten, durch die sie sich bewegt, die für ihren Beruf gebotene dissoziierte Grundhaltung. Die Fähigkeit zur völligen Verdängung menschlicher Emphase sichert im Kriegsgebiet das Überleben und schärft den Blick für das verwendbare Foto. Die junge Reporterin eignet sich also ein selbstzerstörerische Ethos an, während und genau insofern ihr unmittelbares Gegenüber und role model, die Journalismusveteranin Lee (Kirsten Dunst), die Fähigkeit verliert, sich nach den Maßregeln dieses Ethos zu verhalten. Die gegenläufige Doppelbewegung beginnt mit der Rettung von Jessie durch Lee, einer Szene, in der die Ältere der Jüngeren ganz explizit ihre Rüstung verleiht, und endet damit, dass die Jüngere den dramatischen Tod der Älteren (da diese die Nerven nicht behalten hat und ins Kreuzfeuer geriet, just, um Jessie zu beschützen) in, siehe oben, verwendbare Fotos verwandelt.

Diese zweifache Entwicklungserzählung erlaubt uns, im Kino auf den Blick selbst zu schauen. Erstens auf die emotionalen Deformationen, die irgendwer in Tat und Wirklichkeit auf sich nehmen muss, um uns den souveränen, zivilisiert-distanzierten Blick auf Krieg und Katastrophen zu ermöglichen, der zu den Vorbedingungen demokratischer Meinungsbildung gehört. Zweitens sehen wir die praktischen Schwierigkeiten, die dieser stellvertretende Blick mit sich bringt: mit wem muß sich wie arrangieren, wer in unserem Namen auf Gefechte um Leib und Leben blicken will? Was gerät dabei potentiell aus seinem/ihrem/unserem Blickfeld? Die dritte Dimension ist die sozusagen künstlerische: Wie gerinnt ein Ereignis in der Zeit, einmal erblickt, zum einzelnen, zeit-losen Bild? Was bleibt dabei auf der Strecke, bzw. was wird da umso sichtbarer? Ein Stilmittel, das diesen letzteren Aspekt in den Vordergrund stellt, strukturiert Garlands Film besonders: Immer, wenn Jessie ein Foto mit ihrer Kamera macht (die im Gegensatz zu der von Lee noch physische Schwarzweißfilmrollen belichtet), hält der Film den Atem an: Wir sehen das still image, und es steht zum davor gesehenen Ereignis-in-der-Zeit in irgendeinem erkennbaren Verhältnis – das sich uns umso klarer zeigt, als das still, begleitet von ohrenbetäubender Stille, jedesmal eine Zäsur markiert.

Alle diese Arten, den Blick von Pressefotograf*innen filmisch abzubilden, laufen natürlich in letzter Konsequenz darauf hinaus, in ihnen wiederum stand-ins für uns Staatsbürger*innen zu sehen, und den ganzen Film als Parabel auf das Verhalten der repräsentativdemokratischen Bürger*innen-Subjekte in einer buchstäblich brennenden Welt, in der, auch buchstäblich, die Einschläge immer näher kommen: wie lang und bis an welchen Punkt lässt sich Distanz, detatchment angesichts von Barbarei aufrechterhalten? Wann bricht Empathie mit den Opfern, wann bricht blanke Panik durch? Was passiert dann mit uns?

“Civil War” ordnet also entlang des genannten Erzählkerns von der jungen und der erfahrenen Fotografin eine Anzahl an Vignietten an, die sowohl psychologisch als auch im Sinne politischer Parabeln lesbar (und nach beiden Richtungen hin erschütternd) sind – aber das ginge wie gesagt im Prinzip vor dem Hintergrund jedes beliebigen gegenwärtigen Kriegs. Garlands Drehbuch jedoch lässt es ausgerechnet einen Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten selbst sein. Die politische Verortung der Kriegsparteien, soweit wir sie überhaupt mitbekommen, ist dabei paßgenau so geschneidert, dass sie sich nicht bruchlos auf das zeitgenössische Amerika übertragen lässt: hier ein Bündnis aus Texas und Kalifornien, dort maoistische Freischärler, eine Southern Coalition gibt es auch. Alle diese Fraktionen kämpfen scheints gegeneinander und jedenfalls gegen die Überreste der “normalen” USA unter einem Präsidenten, der nicht 1:1 Trump ist, aber von Nick Offerman gespielt wird – also sinngemäß unter Präsident Ron Swanson, von dem wir wenig mehr erfahren, als dass in D.C. Journalisten on sight erschossen würden. Dem ganzen Kriegsgeschehen scheint irgendeine Art von Staatsstreich von seiner Seite vorausgegangen zu sein, aber selbst das mag eine Projektion von meiner Seite darstellen.

Dass der Film sich nicht und nicht als Fortschreibung der amerikanischen Tagespolitik lesen lässt, und dass er zugleich auch genau kein Actionspektakel ist, wurde ihm von vielen der Youtube-basierten Kritiker*innen als feige oder pseudopolitisch ausgelegt: Garland wolle wohl zugleich einerseits für politisch gelten, insofern er keine Held*innen, keine Überhöhung, keine unterhaltsame Action anbieten, und es sich aber andererseits mit niemandem verscherzen, weshalb er parteiische Festlegung scheue. “Civil War” simuliere in diesem Sinn das Politische nur. Diese Kritik ist natürlich Quatsch, aufsitzend auf einem ganz verengten Verständnis von den Möglichkeiten des Mediums Film.

Tatsächlich ist Garlands Film immens politisch, insofern er eine der Grundbedingungen des Politischen abbildet, nämlich diese: wo es als zugleich abstrakte und verbindliche Kategorie einmal zerbrochen ist, herrscht notwendig das Recht des Stärkeren, hockt potentiell hinter jeder nächsten Wegbiegung ein Psychopath mit Macht über Leben und Tod, und Diskurs als Verkehrsform ist sistiert. Die politische Macht kommt, mit den Worten Mao Tse-Tungs, aus den Gewehrläufen, und mehr an Wahrheit wird dann nicht mehr benötigt. Wo der Krieg tatsächlich regiert – also nicht der regelhafte Mannschaftssport, als der er gerne mal verkannt wird, sondern Krieg – stellt sich on the ground die Frage ggf. mal nicht, auf welcher Seite man* steht. Die Souveränität, das verlässlich selbst entscheiden zu können, gehört zu den staatsbürgerlichen Nettigkeiten, die verschwinden, wenn die Gewehre rauskommen. Garland und sein wirklich sehenswert hervorragendes Ensemble bilden diesen politisch auch in Friedenszeiten immens wirksamen Umstand unwiderstehlich ab.

Mehr noch: sie bilden den Prozess des Abbildens dieses Umstandes mit ab. Sie präsentieren uns Figuren, die daran beteiligt sind, ihn abzubilden, und die doch selber an der sich aufdrängenden Frage scheitern: Was machen wir jetzt mit diesem Wissen vom zerbrechlichen Politischen?

 

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