Die dritte Halluzination zur Lage der Nation: Gartengnome, Powerpoint und Facebook


Anmerkungen zum, äh, “journalistischen” Teil des folgenden Textes: (a) In die Rechtschreibung unten zitierten Posts wurde nicht eingegriffen. (b) Um die Identifizierbarkeit der Beteiligten zu erschweren, wurden selektive Auslassungen in den Wortmeldungen vorgenommen. (c) Sollte dennoch eineR von ihnen einen guten Grund haben, die Entfernung des Beitrags zu wünschen, nehmen wir ihn gerne offline. Weiter im Text:


Zwei sorgfältig animierte Gartengnome mit detailgetreu im sanften Wind wippenden Wichtelmützen betreten den Parkplatz vor dem Vorgarten vor dem Mehrparteienhaus. Aus den zahlreichen Rosen- und Hortensienbüschen am Zaun dringt vielstimmig, gerendert als ein Summen von Insekten und ein Tirilieren von Vögelchen zugleich, das Eurovisions-Thema (“Dà-dáaa dáda dáaa-dàaa dáaa-dàaa / dáaa dádà dàdádá dàdàdádádà …”) und verstummt erst, da die beiden Gnome das Setup ihrer nun anstehenden Powerpoint[TM]-Präsentation abgeschlossen haben.

Es haben sich etliche größere Käferchen versammelt, um sich den Vortrag anzusehen, außerdem ein paar leicht zernepften Elfchen aus dem nahen Wäldchen, weiters zwei von den Kinderchen da aus dem Hause nebst Schoßhündchen, Kätzchen, Püppchen (das letztere in einem Leiterwägelchen, welches die Kinder nur mitgebracht haben, damit es die älteren Leser*innen umso unwiderstehlicher an ihre alten Kinderbilderbüchlein erinnere).

Effekthaschend schnepft einer der beiden Gnome mit einem Zeigestab auf die Leinwand, als dort die erste Powerpoint[TM]-Slide erscheint. Mit jeder neuen Slide klescht der Zeigestab des Gnoms erneut auf die Leinwand, sein Mützchen wippt dazu, und die Vögelchen in den Hortensienbüschen machen Soundeffekte. Ansonsten herrscht Stille überm Parkplatz. Angestrengtes Mitlesen setzt ein:

Überschrift: Warum Facebook oarsch für das gedeihliche Zusammenleben ist. Ein Beispiel.

Wir sehen einen Facebook-Thread, der mit dem Screenshot aus einer anderweitigen Unterhaltung beginnt, genauer: mit einem Zitat der Geschäftsführerin einer Bezirksorganisation der Jungen Volkspartei. Dieses Zitat lautet:

“Natürlich ist der Nationalsozialismus eine linke Ideologie. Was sonst?'”

In komfortabler Lesegeschwindigkeit klicken die Gnome nun durch die Slides mit den Wortmeldungen der hierauf folgende Unterhaltung:

A: “Ich hoffe dieser Post ist Fake, weil ich gerade gar nich tweiß was ich dazu sagen soll. […] ”

B: “Natürlich stimmt er.”

A: “Du kennst den politischen Unterschied zwischen Links und Rechts? Das Nationalsozialismus ganz klar rechtesrechts? Während das Gegenstück der Kommunismus und seine Misslungenen Versuche ganz klar das links extrem sind? Also Kommunismus ist perse nicht schlecht, es geht mehr darum das die Umsetzung genau scheiße wie das andere. Aber sie sind nicht das gleiche.”

B: “Genau das stimmt so nicht. Der NS hat Einflüsse aus beiden Seiten. Die Idee dahinter ist links. Mir ist es persönlich auch ziemlich egal ob links oder rechts, ich finde Extreme nicht gut, aber man soll halt nicht ausblenden, dass der NS mit dem Kommunismus sehr viel mehr gemeinsam hat als mit dem Konservatismus und man kann aus JEDER Ideologie ein Regime basteln, daher ist die Herkunft nicht zwingend wichtig.”

C: “und auf den schwachsinn bist vmtl auch noch stolz… du sitzt in der falschen partei. dir sind aber vmtl sogar die blauen noch zu links orientiert. wow! und nein. nicht aus jeder ideologie kann man ein regime basteln. zb demokratie (als ideologie) und regime lässt sich nicht vereinbaren.”

B: “Demokratie ist keine Ideologie sondern eine Regierungsform.”

A: “Der Nationalsozialismus ist politisch rechts, da er auf Rassismus aufbaut. Das sagt der name doch schon “National” also das Volk das dort lebt wird sozial besser behandelt als Völker die zu wandern. Das heißt das eigene Volk wird als wichtiger/besser dargestellt als es faktisch ist. Deswegen ja auch der quark mit den “rassen” Die Rassen-Theorie hat überhaupt gar nichts mit dem Kommunismus gemein. Die Ideologie des Kommunismus ist es, das jedem alles gehört und hat gar keine rassistischen Elemente sondern es geht darum das nicht “kommunisten” das negative Gegenstück sind sondern Kapitalisten. Dabei geht es überhaupt gar nicht um Völker sondern um die Einstellung der Gesellschaft.”

B: “Die nationale Komponente wurde natürlich eingebaut, das ändert aber ja nichts daran, dass Rest links ist?”

A: “Es gab bei den Kommunisten keine Rassen-Lehre sondern nur “Systemfeinde” während der ganze Nationalsozialsmus darauf aufbaut, das ein Volk, in dem fall das deutsche über allen anderen Völker als Herrenrasse steht und man sich dem zu beugen hat… Das steht vollkommen sich entgegen “das jedem alles gehört” und das nur eine bestimmtes Volk alles hat…”

B: “und was ist daran konträr zum linken Staatssystem?”

C: “und eine ideologie. btw (ist zwar nur ein spiegel artikel): ‘steinbach-eklat auf twitter’ dieser zeigt aber sehr gut, wie sich die NSDAP dem konzept: “lüge, dass sich die balken biegen” habhaft machten. zum stimmenfang auf “arbeiter partei” machen, es aber nicht sein. na halt einmal… das kennen wir doch! gleichermaßen stellt sich die effen partei* als “die soziale partei” hin, und entscheidet ALLES – ohne mit der wimper zu zucken -gegen die arbeiterklasse! *das ist der koalitionspartner deiner partei btw. mit dem gleichen rassismus wie damals werden personengruppen als feindbild dargestellt. damals die reichen juden, heute die armen ausländer und flüchtlinge, die einem etwas wegnehmen wollen… ich finds echt widerlich und auch ein bissi belustigend, wie man solche denk- und handlungsmuster als “links” darstellen kann, besonders wenn man selbst in der politik tätig ist und es besser wissen müsste.”

B: “Jede Ideologie wird missbraucht, wenn sie völlig an der Macht ist. Oder willst du sagen Stalin war gut? Es gibt auch zig Gegenquellen, das ist nur ein Abtausch, keine Debatte.”

C: “du bist ernsthaft der meinung es gäbe eine debatte darüber, ob die nsdap links oder rechts gewesen wäre? sry. irrtum. darüber debattiere ich nicht. die nsdap ist das rechteste, dass das demokratische europa jemals erlebt hat – da schliesse ich mich dem artikel voll und ganz an. und wann habe ich gesagt, dass stalin “gut” war? stimmt! habe ich nicht. ich teile die meinung, dass kommunismus durchaus gut sein kann. wir wissen es nur nicht, ob es real funktionieren würde, weil es den noch nirgends gab. wir hatten bisher nur hochgradig korrupten realsozialismus. (der auch in keinster weise sozial war) nenne bitte eine der zig gegenquellen. (ö24? aula? unzensiert?)”

D: “Willst du diesen Schwachsinn in dieser Gruppe jetzt auch noch verteidigen? Dein Unsinn wird heute schon den ganzen Tag geteilt. […]”

B: “ich verteidige meine Meinung. Die auch andere so sehen.”

[…]

E: “Sozialismus ist natürlich links. Egal ob mit nationaler oder internationaler Prägung.”

[…]

Auf der darauf folgenden Slide ist ein launiges Foto der beiden Gartengnome zu sehen, die sich übertrieben verwirrt anschauen. Über ihren Köpfen schwebt auf dem Bild ein Fragezeichen. Dies ist ein anerkanntes Stilmittel in modernen Powerpoint[TM]-Lectures, um den sozusagen theoretischen Teil eines Vortrages einzuleiten. Und tatsächlich – da kommt er auch schon, der Theorieteil, unterlegt mit je passenden Bildchen übertrieben dümmlich blickender, klobig sich verhaltender Menschen.

“1. Die Anreizstruktur des derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Systems verhilft allerhand Dodeln zur Selbstermächtigung.”

“2. Aufgrund des Dunning-Kruger-Effekts ist es vollkommen nutzlos, mit selbstermächtigten Dodeln im Internet zu diskutieren. Offline hätte man dank der Optionen auf reine, körperliche Peer-Pressure sowie sexualisierte Subtexte vielleicht noch Chancen, aber so. Punktipunktipunkti.”

“3. Auch ohne den Dunning-Kruger-Effekt wäre es nutzlos, mit selbstermächtigen Dodeln im Netz zu diskutieren. Es verhält sich nämlich so, dass es in jenen Diskussionen stets nur um die Verteidigung und Festigung von identifikatorischen Wahnsystemen geht, die ihrerseits dazu dienen, mehr oder minder offensichtlich unhaltbare Narzissmen zu stabilisieren.”

“4. Weil das so ist, können wir unsere Zeit Besserem zuwenden. Blümchenpflücken, beispielsweise.”

“5. … heißt halt andererseits, dass der dafür anfällige Teil der Bevölkerung in einer Filterblase selbstermächtigten Bullshits versinkt, trotzdem noch das Wahlrecht hat und wir nichts dagegen machen können.”

Jubel und Applaus auf dem Parkplatz vor dem Vorgarten. Die Gnome bedanken sich artig. Die Kinderchen und Elfchen, die Käferchen und Vögelchen, das Leiterwägelchen mit Hündchen, Kätzchen, Püppchen, sie verschwinden alle wieder zwischen den Hortensien und Rosen im Vorgarten. Sie pflücken Blümchen und spielen beispielsweise Teeparty, während der Nachmittagshimmel sich durch das Weltall frisst.

Die beiden Gartengnome ziehen weiter. Sie haben ihre Slides nun zum zwanzigsten Mal hergezeigt, und den entscheidenden Denkfehler im Theorieteil hat noch niemand gefunden. Ach schade.


 

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