She’s awake!


Staffel vier von True Detective ist seit 15. Jänner über z. B. Sky Österreich erhältlich.

Staffel eins (2014) – Sie erinnern sich, Leser:in, an “Time is a flat circle” und Mattthew McConaughey und Woody Harrelson, die durch Louisiana cruisen – war ein Triumph des intertextuellen Schreibens für den kleinen Bildschirm gewesen, dargeboten in acht beinahe perfekten Folgen. Autor und Showrunner Nic Pizzolatto hatte x Jahre Zeit gehabt, am Skript zu feilen, und das Ergebnis war eine Krimiserie, die stilistisch und thematisch vielfach in der Literaturgeschichte Amerikas, in den Schauergeschichten von Poe, Lovecraft und insbesondere Robert Chambers wurzelte. Das heißt auch, dass diese beiläufig acht Stunden Fernsehen ganz ähnliche Motive von sozialer und emotionaler Unbehaustheit, vom Fragwürdigwerden des manifest destiny der US-amerikanischen Historie aufriefen und auf den Punkt ihrer Bildwelt brachten wie jener literarische Kanon zu seiner Zeit – aber vom anderen Ende des short twentieth century und seiner Katastrophen her. Innerhalb der Fiktion hieß das, die immergrüne paranoide Mär von den rituell Kinder fickenden Eliten gerade so zu erzählen, dass es für unsere detectives unerheblich erscheinen konnte, ob das Verschwörungsblabla der Kultisten auf irgendwelche wirklichen Übernatürlichkeiten verwies, oder doch nur wieder auf die üblichen gegenseitigen Protektionen und Erpressereien.

Staffel zwei (2015) litt unter gar zu überstürzter Produktionszeit und Dissens zwischen Pizzolatto und Co-Produzent Cary Fukanaga. Innert eines Jahres wurde, vom großen Erfolg von Staffel eins angetrieben, eine unebene Neo-Noir-Story in die Empfangsgeräte gestemmt. War der Hallraum für die detectives Rust und Cole in Staffel eins die Tradition des american gothic, so reichten die intertextuellen Dendriten von Staffel zwei erstens nach der klassischen pulp-noir-Tradition (klar bei Los Angeles als Schauplatz), zum anderen ins griechische Altertum. Der Teil der Story Colin Farrell, Rachel McAdams und Taylor Kitsch als mehr oder weniger dirty cops und Vince Vaughn als Gangster-Antiheld (das intertextuelle Repetitorium, das Mythen, Beat-Lyrik, die Produktionsgeschichte des frühen Noir, und (wie dieser) auch die Sozialgeschichte der Besiedelung des kalifornischen Längstals aufrief) funktionierte denn auch hervorragend. Allein, die Krimihandlung holperte. Die ersten Folgen waren schon fertig gedreht und an ihnen war kaum noch etwas zu ändern, als sich anscheinend im writer’s room (= Pizzolattos Cranium) die Erkenntnis breitmachte, dass man sich da wohl vergalloppiert hätte: In den letzten drei Folgen wimmelt es erkennbar von narrativen Notlösungen. Wohlgemerkt: Der Verfasser dieser Zeilen liebt diese zweite Staffel weit mehr als die erste und die dritte, vor allem der gefühlten Tiefe wegen, die daher rührt, das allerhand widersprüchliches, der Form widerstrebendes Zeug nicht mehr weggefeilt werden konnte. Treu blieb die Produktion der undeutlichen Unterscheidung zwischen (innerhalb der Fiktion) wirklicher Jenseitigkeit und dem bloßen verbrecherischen Wirken einer banalen Kabale; erneut prägte es die Atmosphäre, dass der Unterschied zwischen mystischer Einsicht in höhere Welten und deliriöser Wirklichkeitsverweigerung für die Detektive aber praktisch keiner war.

Bei Staffel drei (2019) hatte man* aus den Fehlern gelernt, sich Zeit gelassen und auf genau eine Story konzentriert (Vermisstensuche in den Ozarks), ein Thema (lebendiges Gedächtnis im krankheitsanfälligen Gehirn vs. festgeschrieben-toter, literarischer Text), eine Paarung von zwei detectives (Mahershala Ali und Stephen Dorff). An die Stelle der impliziten literarischen Bezugssysteme trat das explizite Reden über Literatur on screen, betreffend nämlich Referenztexte des literarischen Schul-Curriciulums sowie das Abbliden der Prduktionsbedingungen verschiedener true crime-Formate innerhalb der Story. Podcaster befragen detectives, detective heiratet Autorin – Sorten von oral history stehen überall notwendigen Festschreibungen gegenüber. Die Option auf ein wirkliches Jenseits innerhalb der Erzählwelt kam schlicht nicht vor – dagegen die auf Verschwörung, auf den Doppelsprech von Geheimnisträger:innen. Das Ergebnis war als Kriminalserie weit schlüssiger und unterhaltsamer als Staffel zwei – der Rezensent dagegen langweilte sich auf hohem Niveau.

Jetzt also, wiederum fünf Jahre später, Staffel vier. Hauptverantwortlich – credited als Autorin, Regiesseurin und Produzentin – ist die Mexikanerin Issá Lopez. Dass die sechs Folgen ursprünglich nicht als Eintrag in die Anthologieserie konzipiert waren, sondern als eigenständiges Ding, sieht man* ihnen nicht an: Der thematisch stark aufgeladene Schauplatz (ein Minenkaff in Alaska, während der mehrwöchigen Polarnacht) – starke Schauspieler:innen, deren Gesichter im Bildschirm schon für sich je intertextuelle Lesbarkeiten aufmachen, als detectives (Jody Foster (!) und Boxerin Kali Reis) – ein Aufsitzen des Gebotenen auf Literaturtraditionen – die Verwertung dieser Traditionen für das erzählerische Nachdenken über die soziale Wirklichkeit (hier, wie von über-individuellen Rassismen und Ausbeutungsverhältnsisen vermittels body horror geredet wird): Alles da. Etwa der Name der Forschungsstation, “Tsalal”, deren Crew spurlos verschwindet (ehe zumindest drei von ihnen am Ende von Folge eins als Eisleichen wieder auftauchen) – er referenziert eine “Magnetinsel” bei E. A. Poe, die später Jules Verne weiterverwendet, und mit der neben Kannibalismus auch die Schrecken des kolonialen othering nahegelegt sind. Abenteu(r)er-Erzählungen vom Kartographieren der noch unerschlossenen Welt wie die genannten haben eine andere Schwere angesichts eines Industriekaffs, umgeben von hunderten Kilometern Dunkelheit – und bewohnt von einer Bevölkerung, die anscheinend etwa zur Hälfte aus einheimischen Inuit und zur anderen Hälfte aus Zugewanderten besteht. Die Gemengelage lässt an die proto-postkoloniale Weltgesellschaft an Bord der Pequod im Moby-Dick denken (ein Buch, das seinerseits auch dem hier aufgerufenen “Pym”-Garn von Poe viel verdankt) – und wir haben im Hinterkopf, was am Ende mit der Pequod passiert.

Im Gegensatz zu Staffeln zwei und drei betont Lopez’ Eintrag in die Anthologie den Horror/SciFi-Faktor gegen das Krimi-Genre, in dem die Figuren doch weiterhin agieren: wie sich die Geschehnisse, die schon nur Folge eins uns serviert, ohne entweder das Wirken von Geistern und Dämonen oder zumindest wissenschaftliche Entdeckungen man was not meant to know im ewigen Eis erklären lassen, erschließt sich dem Verfasser nicht (vielleicht Drogen im Trinkwasser, in sehr spezifisch unterschiedlicher Dosierung? ein Gasleck mit halluzinogenem Gas, das aber auch nicht immer und überall ist?). Der Verschwörungs- und Paranoia-Aspekt von True Detective dagegen ist ganz greifbar, und also eigentlich neutralisiert: gegen die vor Jahren ermordete Aktivistin hielt das ganze Industriekaff zusammen, kein(e) Mörder wurden je gefunden, und es ist ganz selbstverständlich, dass das so ist.

Die größte Stärke der Serie nach Ansicht des Verfassers bleibt aber, was amerikanische Fernsehkritiker seit inzwischen zehn Jahren als größte Schwäche bemäkeln: die “unrealistischen” Dialoge. Wenn mitten im polizeilichen Gespräch mit dem Bruder eines Mordopfers dieser Bruder die Polizistin fragt (und ganz unvermittelt fragt), ob sie an Gott glaube, und sie auch noch antwortet – dann ist das eben unrealistisch. Wenn darauf ein Dialog wie dieser folgt – “Must be nice.” – “What?” – “Knowing we’re not alone.” – “Oh, we’re alone. God too.” – dann ist das die realistische Abbildung einer hightened reality. Natürlich reden diese Leute miteinander nicht wie Leute, sondern wie literarische Figuren. Ebenso natürlich gibt es in der verlassenen Forschungsstation im Eis eine DVD von “The Thing”, und einer der vermissten Forscher (in einer Story, in der der Rassismus gegen amerikanische Ureinwohner und der Horror der Weißen vor der leeren Landschaft ihre Funktionen haben) hat Cormac McCarthys “Blood Meridian” auf dem Bett liegen. Dass Staffel vier (endlich) auch keine Erzählung von Männern für Männer (mehr) ist, wie Staffeln 1, 2, 3, es bildet sich innerhalb der ersten Folge von Staffel vier dadurch ab, dass wir an mehreren Stellen hören dürfen: “She’s awake”

Nichts an true detective tut so, als würde es die Wirklichkeit so abbilden, wie sie aussieht. Gut so.

  • Bildrechte/copyright Ⓒ: hdwallpapers