Ein Tontechniker hat einmal in einer Drehpause den österreichischen Charakter wie folgt beschrieben: wenn die Welt dereinst in Trümmern liegt, wird nicht viel übrig geblieben sein, keine Häuser, keine Strassen. Die Natur wird sich alles wieder zu eigen machen, aber irgendwo, inmitten eines dichten Waldes, wird es eine kleine Lichtung geben. Auf dieser Lichtung wird eine Ampel stehen und rot leuchten. Und vor dieser roten Ampel wird ein Österreicher stehen und warten, bis es grün wird. Das sollte für das rote Virus auch gelten.
Das trifft vieles sehr gut. Es berücksichtigt aber nicht, was in die Kategorie “Kavaliersdelikte” fällt, die kleinen, verschmitzten Schlawinereien. Was jetzt nicht so wichtig ist, aber in diesen Zeiten, wo Empfehlungen seitens der Behörden durchaus ernst zu nehmen sein müssen, da tatsächlich niemand weiß, wie genau alles sich entwickeln könnte, zeigt sich das Nichtganzernstnehmen von Vorschriften wie beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen. Nicht im Rudel unterwegs zu sein ist eine der nachvollziehbaren Vorschriften, worauf am Tage, da diese in Kraft tritt, als erste Begegnung mit der Außenwelt eine zwanzigköpfige Gruppe von Kurgästen mit Walkingstöcken lachend eine Volksschule passiert. Vielleicht haben sie wenigstens über sich selbst gelacht.
Freuen wir uns zumindest einmal über einen Konsens, der sogar in der Politik sich einpendelt. Selbst die größten Narren reden nun von Zusammenhalt, den sie sonst tagein tagaus sabotieren, aber es ist wohl eher taktischem Kalkül geschuldet, mit der Fortsetzung ihrer Tagespolitik der Spaltung im Moment kein Leiberl reißen zu können, und weniger einer tatsächlichen Haltung. Diese behält der amerikanische Präsident beeindruckend bei. Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt aus dem Weißen Haus bestimmt etwas noch Tieferes daher. Wir kaufen uns einen Impfstoff von euch Europäern, die ihr uns die Seuche gebracht habt, aber nur für uns, wenn wir euch dafür bezahlen, weil dann gehört er uns auch, und ihr müsst zuschauen, wie wir uns damit impfen. Weil America first. Wenn das Land nun immer noch nicht kapiert, wes Geist da spukt, sollten die Sorgen ernsthaft werden. Vorläufig letzte Aussage: Wir haben das Virus unter unglaublicher Kontrolle. Wir sind das beste und stärkste Land of the world. Das wird bestimmt helfen.
Trotz allem birgt so eine Situation berechtigte Hoffnungen. Zu viele Geheimnisse, diesfalls offene, wurden bereits an die Oberfläche gespült, bevor eine wahre Dimension absehbar war und ist. Eine Hoffnung ist, dass es langsam einsickert, mit Niedertracht eine Krise am allerwenigsten bewältigen zu können. So sollten nicht nur alle Menschen sich ein wenig zurückziehen und sich isolieren, sondern so sollten auch jene von selbst isoliert werden, die meinen, auch unter solchen Umständen noch jemanden finden zu müssen, der Schuld ist an der Lage, um von der eigenen Unfähigkeit und eben Niedertracht ablenken zu können.
Freuen wir uns also auf ein neues Miteinander. Davor, könnte ich mir vorstellen, fürchten sich bestimmt einige, die unter anderem deshalb in hohen und höchsten Positionen sind, weil gebetsartige Wiederholungen von Parolen in einer Gesellschaft, die grundsätzlich zu wenig Zeit hat, sich gut verankern können. Nicht eingeplant in solchen Machtkonstrukten ist eine Gesellschaft, die genug Zeit hat nachzudenken. Nun liegt es in der Natur der Dinge, dass genau dieses Malheur passieren wird: Viel, sehr viel Zeit, zum Lesen, zum Reden, zum Zuhören. Diese Konversationen werden eher ohne Message Control ablaufen. Es wird den Menschen in den nächsten Wochen und möglicherweise Monaten nämlich so gehen, wie es ihnen tatsächlich geht und nicht, wie es ihnen vorgesagt oder empfohlen wird. Alles könnte ein bisschen echter werden. Das Gespür wird wachsen, und parallel mit einem feineren Gespür für sich selbst wächst auch das Gespür für andere und für tatsächliche Bedürfnisse, die ganz wo anders liegen könnten als beispielsweise bei einem schrankenlosen Wirtschaftswachstum bei gleichzeitigem Credo von Nulldefiziten und sonstigem Kauderwelsch, das in Wahrheit niemand mehr wirklich durchblickt.
Es wird interessant sein festzustellen, dass beim Herunterfahren der Systeme alles, was nicht virtuell und in bunt bedruckten Zetteln gemessen wird, überraschenderweise noch da sein wird. Es wird spürbar sein, dass mitunter Dingen nachgehechelt wird, die in Wirklichkeit niemand braucht. Das entspricht natürlich jetzt schon den Tatsachen, oder braucht jemand allen Ernstes heute einen neuen Tischstaubsauger? Oder eine Fettabsaugung? Oder neue Sommerreifen? Ich erinnere mich als ahnungsloser Autobenutzer an zwei Ratschläge betreffend Reifen. Der Reifenverkäufer sprach von unglaublichem Abrieb von Winterreifen im Sommer sowie einem damit einhergehenden exorbitant höheren Benzinverbrauch. Der Mechaniker unseres Vertrauens fragte mich lachend, wofür ich denn Sommerreifen benötigen würde. Die Argumente des Reifenverkäufers bezeichnete er bei unserem Kilometerverbrauch als völligen Blödsinn.
Wir werden viel Musik hören in nächster Zeit, oder Musik gar selber machen, es muss ja nicht perfekt sein! Wir werden uns Witze erzählen, einen neuen Humor gar kreieren, wer weiß es? Es wird bestimmt traurige Momente geben, viele. Zugrunde liegen wird aber immer die Hoffnung auf einen guten Ausgang. Wir hier in den privilegierten Regionen sollten endlich Demut erlangen und das Bewusstsein, dass viel zu viele Menschen auf dieser Welt in Dauerausnahmezuständen leben, die künstlich herbeigeführt werden – und denen es wesentlich schlechter geht als uns mit der Aussicht, dass zum Beispiel ein Krieg, in dem viele Unschuldige sich befinden, kein Ende finden kann, weil es gegen Gier und Blödheit keinen Impfstoff geben wird. Und so schreibe ich, wie ein Kind einen frommen Wunsch an das Christkind, dass dieses Virus nebenbei auch die Produktion und den Transport von Waffen ruhend stellt und Kriege abflauen lässt, wär ́ doch was. Fertig mit dem Geballere und Gemorde, Gehirn benützen, zusammensetzen, reden, basta. Das passt natürlich vielen nicht in den Kram, weil bis dorthin noch nicht gedacht wurde. Jetzt ist es aber an der Zeit, tatsächlichen Realitäten ins Auge zu schauen, und nicht künstlichen und virtuellen Bedürfnissen auf Kosten vieler armer Menschen zum Gewinn einiger weniger.
Eine Gesellschaft, die einen Krankheitserreger zwar als humanitäre Krise begreift, dabei aber ständig rechnet, wie groß ein pekuniärer Schaden sein wird, befindet sich am Holzweg, und zwar grundsätzlich. Nicht nur zuallererst, sondern gleichzeitig zuletzt sind die Schäden menschlich. Was pekuniär dazwischen läuft sollte eigentlich in einer reifen Gesellschaft kein Problem sein. Also wird es auch sein Gutes haben, wenn ein vorläufiger Stillstand hier das eine oder andere Denkmanöver in Gang setzt, ob es wirklich Sinn macht, alles in Geld aufzurechnen, ohne die tatsächlichen wirtschaftlichen Konsequenzen, die nun entstehen, als Bagatellen zu sehen. Um zu erkennen, dass diese Welt aus der Steinzeit oder welcher Vergangenheit auch immer sich nicht heraus oder gar weiter entwickelt hat. Ich glaube sogar, dass die Steinzeitmenschen, wenn es draußen geregnet hat, nicht einkaufen gegangen sind, also auf die Jagd oder Pilze sammeln. Die haben eher Pause gemacht, denke ich, und nachgedacht. Darum sind sie langsam, aber doch, ein wenig weiter gekommen. Und trotzdem glaube ich nicht, dass sie nach der Erfindung des Regenschirms mit diesem bei Regen auf die Jagd gegangen sind, eher zum Nachbarn, um sich zu unterhalten. Vielleicht hilft diese Phase, den Rückweg in eine völlig kaputte Steinzeit, auf dem wir uns befinden, aufzuhalten und langsam, aber doch einen ersten Schritt in Richtung Weiterentwicklung zu tun, einen ersten nach einer zwar nicht langen, aber umso extremeren und intensiveren Phase eines völlig entfesselten Kultur- und Niveauabbaus, in jeder Hinsicht.
Derweil waschen wir unsere Hände, manche in Unschuld, manche mit Seife, manche mit selbst gebastelten Desinfektionsmitteln, Hauptsache oft genug. Und vielleicht kapieren auch unsere besonders tapferen und coolen Mitmenschen, die immer noch zum Spass unterwegs sind, als wäre nichts, dass ein allgemeines Daheimbleiben nicht ausschließlich die eigene Komfortzone begrenzt, sondern Sinn für andere macht. Die sich vielleicht nicht in einer bärigen Verfassung befinden, weil sie einfach alt oder krank sind und daher den Helden der Kavaliersdelikte riesig dankbar sein werden für die Weitergabe der kleinen roten Coronamoleküle.
- Bildrechte/copyright Ⓒ: Bild von LMoonlight auf Pixabay