Meine Damen und Herren Vernunftskeptiker;
liebe zigtausende Politstrateg_innen daheim an den Empfangsgeräten;
sehr geehrte nützliche Idioten!
In Fronkreisch ist also in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl mit Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron ein erzliberaler Volldepp jener Gegenkandidat, den wählen wird müssen, wer nicht behilflich sein will, die offene Faschistin Marine LePen zu ermöglichen. Nun ist es schlechterdings unmöglich, sich diesen Wahlgang (Match “*eppen gegen *öcher”, das er ist) irgend als epischen Showdown “Gut gegen Böse” zu verkaufen. Das wiederum stösst, wie wir in den letzten zwedrei Tagen beobachten durften, zahlreichen Insass_innen des bekannten links|:radikal:|liberalen Thinktanks “Facebook” sauer auf. Es scheint, genauer, eine gewisse narzisstische Kränkung zu verursachen, dass man keine klar erkennbar *richtige* Seite in der Auseinandersetzung der kommenden Tage geboten bekommt, mit der man sich tapfer identifizieren und aktivistische Memes posten kann. Anscheinend befeuert von dieser Kränkung ist derzeit viel des Gegackers darüber, dass Monsieur Macron ein Freund des allerverderblichsten Großkapitals sei, ein Arbeiterschinder und TTIP-Chlorhuhn-Arsch, persönlich an der Verelendung der Unterschichten aller Länder beteiligt und vermutlich auch Konsument von einem halben Liter eisgekühlter Waisenkindertränen täglich.
Es treffen diese Schilderungen natürlich ca. den Kern der Sache (also: “die Quintessenz”, nicht: “den Bundeskanzler”). Der Mann steht für die fortdauernde “Normalität” im Sinne des Großbürgertums, womit gesagt ist, für den fortdauernden Ausnahmezustand für alle anderen Bevölkerungruppen; dafür, dass sich “immer alles ändern muss, damit immer alles gleichbleiben kann”. Trotzdem werden wir hoffen müssen, dass die offensichtlichen, plumpen Agitationsversuche nicht verfangen, welche linken französischen Wähler_innen (und den ihnen deutschsprachig hinterherhechelnden Tagesfreizeitbesitzern) einreden wollen, es sei nun richtig, im zweiten Wahlgang *gar nicht* wählen zu gehen, denn:
Es sei Macron ja auch die Wahl des Klassenfeindes; es werde LePen sowieso keine Mehrheit bekommen (und wenn doch, dann gebe es im Sommer, nach den Parlamentswahlen, eben eine linke Regierung unter einer faschistischen Präsidentin, und das werde, wenn es denn käme, sicher ur-spannend). Ausserdem dürfe man sich nicht der Logik des kleineren Übels beugen, denn mit Hilfe dieser Logik hätten, wie wir wissen, wieder und wieder die reformistischen Oarschloch-Flügel der internationalen Sozialdemokratien gerade noch einmal die Kurven und Regierungsmandate bekommen, um daraufhin stets munter Sozialabbau und Pfuigack weiter zu betreiben.
Ausserdem habe man ja Ähnliches schon in Amerika gesehen; die Demokraten seien selber schuld daran, dass nicht sie, sondern vielmehr die Republikaner mit ihrem Drumpf gewonnen hätten. Die Demokraten unter Debbie Wasserman-Schultz und ihrer stromlinienförmigen Hillary seien es ja auch gewesen, die in den Primaries mit schmutzigen Tricks den Kandidaten des Wahren, Guten und Schönen verhindert hätten, Bernie “Die Nachtigall von Vermont” Sanders. Und es geschehe ihnen und der Nation nun nur recht, wenn allgemeines Darben unter dem Zugriff des Kürbisblütenkaisers herrsche: Da werde nun der/die eine oder andere sicherlich seine/ihre Lektion lernen. Ähnliches spiele sich nun eben in der Grande Nation ab. Man werde sich – weltweit! – nicht mehr mit durchschaubar pseudoprogressiven Witzfiguren abspeisen lassen! Wenn die leidlich liberalen, wohlgelittenen Möchtegerneliten nicht mehr wollen, wie sie im Dienste der Mehrheit sollen, dann kommen eben geschäftschädigende Faschisten oder senile Starkmännlein von Baku bis Bordeaux an die jeweilige “Macht”. Aux armes, citoyens! Bzw. halt: Nicht aux Urnen!
Bloß, dass es sich bei allem diesem um durchschaubar blöden Blödsinn handelt, in den Labors von Politstrateg_innen ersonnen und schon fertig bebildert in Umlauf gebracht, um die Chancen der Vichy-Walküre LePen zu erhöhen. Denn den echten Eliten ist es wurscht, ob eine Schlägerbande unter ihnen die Staatsgeschäfte versieht oder ein Rudel Schleimer aus dem Mittelstand. Das macht einen Unterschied nur für diejenigen, deren Lebensgrundlagen vom gesellschaftlichen Klima in dem so bestellten Staate abhängen: Die so oder so Schutzbedürftigen, die Ausgeklinkten, die Randgruppen … Die dann aber auch, weil sie akut andere Sorgen haben und nicht den ganzen Tag immer nur mitdenken und recherchieren können, die für Demagogie im bösen Sinn anfälligsten Gruppen sind – und auch dieses sah man jüngst in Yankee-Landen:
Wie likely voters von Senator Sanders gezielt mit Werbebotschaften zugemüllt wurden, die zum Ziel hatten, Hillary in ihren Augen zu diskreditieren, sodass der Weichspülfaschist Trump daneben erträglich erscheinen durfte. … Und wie zeitgleich alle möglichen anderen Institutionen, die dazu dagewesen wären, *richtig* von *falsch* unterscheiden zu helfen, sich mit Wortmeldungen von Sprecher_innen der Trump-Kampagne nachhaltig beschäftigt fanden, die offenkundig nicht so sehr zum Ziel hatten, diese oder jene *falsche* Tatsache als *richtige* in Umlauf zu bringen, als vielmehr, das Medium des öffentlich geführten politischen Diskurses in Funktionsweise und Vertrauenswürdigkeit zu diskreditieren. … Bis jeder am Ende nur noch glaubt, was er/sie glauben will; also: Bis auch diejenigen glauben, was sie “wollen”, die zu wissen im Stande sind, dass das eine schlechte Idee ist – denn wenn ich auf Dauer keine problemlos vertrauenswürdige Nachrichtenquelle zur Verfügung habe, schmeisse auch ich als Berufsplapperer und -zuhörer irgendwann das Handtuch. Ich hab ja irgendwas anderes auch noch zu tun in meinem Leben als den Nachrichten nachzuspüren.
An dieser Stelle ist der Einwand denkbar: Handle es sich bei all dem Gerede über “fake news” nicht bloß um antirussische Propagada? Habe nicht der “transatlantische” Westen, die bürgerlichliberale Fraktion in Euroland und Yankeestan bestimmte geopolitische Interessen, die denen Russlands (und diesem oder jenem imperial geknechteten … ahäm … “Volk”) diametral entgegenstehen? Und sei es nicht folglich, da doch “der Westen” über die dickeren Schießgewehre und den miltärischeren, industrielleren miltärindustriellen Komplex verfüge, völlig legitim, wenn die “bedrohten Anderen” sich eben jener Waffen bedienten, über die sie verfügen, i.e. strategisch Verwirrung stiften usw. usf.? – Schön, dass du fragst, lieber Strohmann, aber ich hatte vorhin Russland wohlweislich noch gar nicht erwähnt. Was dir hier Schwierigkeiten zu machen scheint, ist wiederum das Nichtvorhandensein von “Gut” und “Böse” in der Weltpolitik: Dass “die unsrigen” Propaganda betreiben, heisst nicht, das “die anderen” das nicht täten. Dass die liberal verfassten Nachtwächterstaaten geopolitisch an der Durchsetzung ihrer Interessen arbeiten (das heisst: an der Durchsetzung der Interessen ihrer Eliten) heisst nicht, dass die Kleptokratien “gelenkten Demokratien” nördlich und südlich des Kaukasus da irgendwie besser oder anders wären.
Es gilt, diese ganzen Störgeräusche zu ignorieren. Wir müssen das librale Elitenprojekt Europa nicht lieben; wir müssen nur, in Ö’reich, ‘Talien, ‘Schland und ‘Kreich, verhindern, dass unsere Gesellschaften selbst noch hinter den erreichten Stand dieses Projekts zurückfallen. Nationalstaat – Nationalidentität – Regional- und Natur-Blabla – das mögen alles Ideologeme sein, die den Macrons und Djisselbloems und Schulzens dieser Welt zufällig nicht gefallen. Aber deswegen auf sie zu setzen, heisst selbst im besten Fall: Verdörflichung, Verblödung, Hierarchisierung, Brutalisierung, Homogenisierung der Gesellschaften billigend in Kauf zu nehmen.
Langer Rede kurzer Sinn: Wer bei dieser Wahl eine Stimme hat und sie nicht nutzt, weil Macron leider ein hundsgewöhnlicher liberaler Politiker ist und keine Che-Guevara-Actionfigur, der/die verhält sich, als ginge es da um eine Lifestyle-Choice, um Kombucha vs. Paleo oder so, und nicht um ca. “strengere Fremdenpolizei vs. Flüchtlingsheim abfackeldne Mobs”. Jetzt muss mal der Bildung des Mobs abgehütet bzw. der Einzug der Faschistin in den Elysee-Palast verhindert werden. Dann kann man weitersehen.
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