So viele Dinge sind uns selbstverständlich geworden, als hätte es sie immer schon gegeben. Ja, ein Schweinsbraten am Sonntag gehört schon auch dazu, aber viel wichtiger erscheint es mir, dass ich gleichzeitig, hätte ich gerade keine Lust auf diesen Braten, das auch öffentlich kundtun darf, wenn ich will. Dass ich beim Fenster hinausposaunen darf, dass ich den Braten nicht mag, der da gerade am Tisch steht. Das ist alles hart erarbeitet. Klingt komisch, ist aber so, wir vergessen das nur sehr schnell. Wir erleben es zwei Häuser weiter, dass dort jemand gar nicht so schnell schauen kann, wie er im Gefängnis sitzt, obwohl er wahrscheinlich überhaupt erst nachgedacht hat, ob er die gefüllte Kalbsbrust mag oder nicht.
Der Satz, dass sich dieses Land wundern wird, was alles möglich ist, ist so unerträglich wie banal und beschreibt die Gemütsverfassung vieler Leute. Nun soll aber nicht alles schwarz gesehen werden, es gibt parallel zu vielen fürchterlichen Entwicklungen auch viel zu lachen. Etwa, wenn es darum geht, dass sich stramme Nationalisten international formieren. Das klingt wie ein Witz. Wenn also rechtsextreme Leute aus Deutschland, Frankreich, Holland, Polen und Österreich, um einmal die größten Krawallmacher zu nennen, sich zu einer nationalistischen Internationalen vernetzen wollen, wie findet man denn das? Was machen die denn wirklich miteinander? Die beiden deutschsprachigen haben sich letztes Jahr beschnuppert, es roch gut, meinten sie, darauf kann man die Beschreibung also verlässlich reduzieren: Es geht um niedere Instinkte. Inhalte? Sie halten sich die Schnauzen gegenseitig in den Hintern und haben den Riecher für einen gemeinsamen Nenner: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sie sind also nationalistisch international beweglich – dafür gibt es den wunderschönen Begriff “ideologieelastisch”.
Das letzte Jahrhundert ist gerade einmal vorbei, und schnurstracks lernen wir aus der Geschichte, dass aus ihr nichts gelernt wird. Die mediale Globalisierung und Vernetzung allerorts ermöglicht es, den größten Blödsinn als Nachrichten und Tatsachenberichte zu verkaufen. Nachrichten herstellen = Geld verdienen = eine fatale Entwicklung. Nachrichten sind auf diversen Sendern nicht mehr bloß die schnellsten, sondern auch die besten. Dort werden die Nachrichten nachgerichtet sozusagen. Erzählt wird nicht, was passiert ist, sondern was gehört und gesehen werden will. Hier spült uns das Thema zwangsmäßig in die USA, wo jene Leute, die von sogenannten Fake News leben und von solchen erst groß gemacht wurden, am lautesten darüber schimpfen. Wir halten uns aber nur kurz auf mit dem amerikanischen Präsidenten: Es war nie ein Geheimnis, dass dieser Mann ein Trottel ist, er war es vor der Wahl, er war es, als er das Amt antrat, er wird es für die nächsten paar Jahre bleiben und dereinst sein Amt, hoffen wir eher bald, als Trottel verlassen und irgendwann unbeirrt als Trottel alt werden und verkünden, dass er der beste Präsident ever gewesen sein wird, it´s true, viel mehr gibt es darüber nicht zu sagen. Das wird man auch nicht nachrichten können.
Gäbe es innerhalb des Niedergangs einer medialen Kultur zumindest noch ein Quantum nicht an Trost, sondern an Ausgewogenheit zwischen den Fronten, könnte es ja noch einigermaßen frei ablaufen, das tut es aber nicht, und erträglich ist es schon lange nicht mehr. Problematisch ist die Unverschämtheit, wenn einerseits verdrehte Tatsachen in die Welt gepflanzt werden – irgendwas bleibt immer hängen, auch wenn die zarten Triebe der Diffamierung gleich wieder absterben – und gleichzeitig Machtapparate versuchen, die gegnerische Seite auf staatlich vereinnahmten rechtlichem Wege zum Schweigen zu bringen. So erleben wir es seit geraumer Zeit, in der Türkei, in unzähligen Ländern, die nicht weit weg von oder gar in Europa sind, in den USA. Und man kann viel darauf setzen, dass diese Ideen hier auch vielen Menschen gut gefallen, wünschen sich doch gar nicht wenige Leute eine starke Führungsperson. Bleibt zu hoffen, dass viele von diesen jung genug sind, um den Schaden wenigstens hinterher auch reparieren zu können. Viele sind aber schon alt, vor Torheit offenbar nicht beschützt worden und mit der Einstellung unterwegs, dass eine Sintflut hinterhalb sich schließen wird, Hauptsache gut gelebt. Gut gelebt aufgrund einer wiedererlangten Demokratie nach Jahren mörderischer Diktatur, und nun wird kräftig mitgeholfen, diesen Status sukzessive zu demontieren. Das kann sehr gerne als Vorwurf verstanden werden, es ist auch so gemeint. Vergessen wir nicht den großen Satz, dass wir die Welt nur von den Kindern geborgt haben.
Vergessen wir das alles nicht. Vergessen wir nicht, wie gelacht wurde über den Unsinn, den die Nationalsozialisten von Anfang an verbreitet haben; niemand konnte ernstlich glauben, dass eine Bewegung wie diese jemals Macht erhalten könnte. Es war eine perfektionierte mediale Strategie, die Vorgehensweise der heutigen demokratiepolitisch höchst bedenklichen Machthaber und von jenen, die die Macht gerne hätten, unterscheidet sich in nichts von jener in den 1930er Jahren in Deutschland und Österreich. Sie selbst schreien am lautesten und schwingen die Faschismuskeule. Ein kleiner Höhepunkt in der Verkehrung der Dinge hat im Präsidentschaftswahlkampf in Österreich stattgefunden. Da haben die Kollegen des Flugzeugtechnikers doch tatsächlich gemeint, dass der gegnerische Kandidat Fotosujets aus dem Nationalsozialismus verwende, weil er auf einem Bild mit Bergen und einem Hund abgebildet war. Ganz ehrlich, beim Fotografieren in Österreich ist es schon ein Kunstwerk, keinen Berg draufzuhaben, während die blaue Propagandamaschine ganz ohne Berge und Schäferhunde die Ästhetik der 1930er Jahre hochleben hat lassen. Der Wahlsieg der niederländischen Regierungspartei VVD um Mark Rutte wird so interpretiert, als hätte er ihn dem türkischen Ministerpräsidenten zu verdanken. Warum auch nicht? Man kann es auch als Wahlunterstützung für Geert Wilders PVV betrachten: Soviel zur rechtsextremen internationalen Zusammenarbeit, hurra! Wenn es so funktioniert, sind weitere gemeinsame Aktivitäten dieser Bewegungen aufs Höchste zu begrüßen!
Was den Rechtsruck vieler Regierungen und Parteien betrifft: Hier zeichnet sich unter anderem Österreich mit einzelnen Protagonisten besonders aus, die sich offensichtlich in ihrer Wahl der Parteizugehörigkeit grundsätzlich grob geirrt haben. Bei den Simpsons wurde einst gefragt, ob man nicht ebenso unterschreiben möge, Ja zu Nein zu Ja zu Drogen zu sagen. Voilà. Um die Ecke formuliert muss nicht ausgesprochen werden, woher der Wind weht, es sorgt aber nur kurz für Verwirrung. Der konservative Clubchef hat ganz klar Nein zu Ja zu Nein zum rechtsextremen Flugzeugtechniker gesagt.
Vergessen wir auch nicht, wie erfreut Recep Tayyip Erdoğan Anfang dieses Jahrtausends vom Rest der Welt als neuer Ministerpräsident 2003 begrüßt wurde. Ein kurzer Blick in seinen Lebenslauf hat genügt, um seine Grundstruktur einzuschätzen, umso mehr hat die Begeisterung für ihn verwundert. Die Wahlen in den USA bilden einen vorläufigen Höhepunkt, mit welchem Unsinn und vor allem mit welchen Leuten Wählerstimmen gewonnen werden können. Das grauenhafteste Argument für den Nationalsozialismus ist, dass nicht alles verdammt werden dürfe und durchaus gute Ideen existiert haben; die AfD versucht gerade, Adolf Hitler als gewöhnlichen Politiker in die Geschichte einzuschleusen. Das sollte gründlich in die Hose gehen. Genauso grauenhaft ist es, Leute mit all ihrem Wahnsinn in Kauf zu nehmen, nur weil es irgendwo die eine oder andere gute Idee angeblich geben soll. Leute, die sich über Menschen, und dabei vor allem über schwächere Menschen, lustig machen und auf Menschenrechte pfeifen. Im Moment ist aber keiner der aus der Fassung geratenen Präsidenten auch nur ansatzweise gefährdet, mit einer einzigen tollen Idee aufzublitzen, und zwar in jeglicher Hinsicht. Man könnte sich beim Nichtmögen ja auf diese Narren reduzieren, aber die resultieren leider aus der Wählerschaft. Manchmal ist wirklich alles zum Vergessen.