Fernsehen mit Schmitzer mit Hayek. Über She-Ra and the Princesses of Power


Wir erinnern uns an den heldenhaften He-Man im Fernsehen unserer Kindheiten (+/- 1985): im ewigen Kampf mit seinem Gegenspieler Skeletor um die Macht auf dem Planeten Eternia befangen; so ostentativ überdrüber-heteromännlich und so spärlich bekleidet, dass er es rasch und verdient zur Camp-Gay-Ikone brachte; die Dialoge so eindimensional und hölzern, dass es das identifikatorische Schauen unterminierte und selbst noch den doofsten Knaben daheim am Empfangsgerät zu höherer Hermeneutik zwang; die immer gleichen paar Ringkampfsequenzen, wenn‘s nach fünf Minuten Exposition an die Action der jeweiligen Folge ging; karge (lies: unaufwändig zu animierende) Felslandschaften mit gelegentlichen Wäldchen und Burgen, durchaus ohne erkennbare Straßennetze oder sonstige Infrastruktur … Die High-Tech-Jungsteinzeit am Samstagvormittag im Kinderzimmer; und weil’s als Dauerwerbesendung für überteuerte Plastikmantschgerl angelegt war, auch noch der Serviervorschlag ans kindliche Publikum, wie denn mit diesen neuartigen Mantschgerln zu spielen sein werde: Schlachtensimulationen für eine Kindergeneration, der die Idee von Krieg selbst, zum Glück, wie ein völlig jenseitiges Phantasiekonzept erscheinen musste, mit dem man so unbefangen umgehen durfte wie mit all den anderen Spielzimmer-Phantasmen …

… nun kannten wir damals die abstruse Geschichte nicht – und hätten auch nichts mit ihr anfzufangen gewusst – der wir die Präsenz jenes Herrn He-Man und seiner rauflustigen Freunde in unseren Fernsehern verdankten. Zu jener Zeit, Anfang der Achtz’ger, hatte nämlich soeben George Lucas mit “Star Wars” das Prinzip der Werbung für Pastikmantschgerl im populären Bewegtbild perfektioniert und zur Haupteinnahmequelle eines ganzen Franchises gemacht. Das war neu und alle Welt wollte mitspielen. Doch was mit feature films funktionierte, war im US-Kinderfernsehen zu jenem Zeitpunkt noch explizit verboten. Es musste erst Ronald Reagan, Präsident, Freund des Freihandels und der Kommerzmedien, die entsprechenden Bestimmungen lockern, woraufhin die amerikanische Spielwarenbranche eine neue Lieblingsbeschäftigung entdeckte – das Experimentieren mit Saturday Morning Cartoons; die Suche nach jenem möglichst billigen Stück Minimalaufwand, mit dem sich gleichwohl noch gewinnbringend und berechenbar Tschantsch verkaufen lassen würde – “My Little Pony”, “GI Joe”, “Transformers”, “ThunderCats” usw. Es war im Zuge dieses Gold-Rushs, dass die Firma Mattel die Rechte an der Figur “Conan der Barbar” und dem ganzen Drumrum erwarb, inklusive einer Plastikgußvorlage für Arnold Schwarzeneggers Conan-Antlitz. Aus irgendwelchen Gründen blieb die Idee unfruchtbar, aus der hyper-gewalttätigen, von faschistischen Tropen triefenden Buchreihe mit Filmfortsatz eine Kinderserie zu basteln – aber auf den Vorlagen für Plastikmännchen saß Mattel nun … und entdeckte bald, dass man bloß Plastik-Arnolds Haar umfärben und seine sonstige Aufmachung nur ein Weniges verändern würde müssen, um treuherzig versichern zu können, da werde nichts abgekupfert, es sei dieser “He-Man” eine ganz eigenständige intellectual property, was man ja auch an den Sci-Fi-Elementen des Szenarios erkennen könne usw.

Passenderweise – bzw. halt von der Zauberhand des liberal befreiten Marktes so eingerichtet – bringt das “He-Man”-Franchise auch inhaltlich die Träume, Sehnsüchte, Selbstverständlichkeiten des Reagan/Thatcher-Liberalismus auf den Punkt: Das Land zwischen den Burgen und sonstigen Enklaven von Zivilisation ist wüst und, notwendigerweise, gesetzlos; entsprechend bewegt man sich mit individuellen Fluggeräten bzw. Gleitern fort; die Herrschaft des Königs (tatsächlich den Erfordernissen des Kindermärchen-Narrativs geschuldet, also: im Sinne der stets unaufwändigsten Lösung) begründet sich aus der Notwendigkeit, zur Abwehr “des Bösen” einen rudimentären Nachtwächterstaat zu unterhalten, eine, sagen wir, wie’s ist, Militärdiktatur, die freilich, ganz im Sinne von Friedrich Hayeks Lehre, in wirtschaftliche Prozesse und die “Angelegenheiten des normalen Volks” nicht eingreift. Dass im Namen des König – “Randor” – ein Anklang an Ayn Rand steckt, ist vielleicht Zufall. Dass Konflikte stets vermittels des Rechts des Stärkeren gelöst werden (und die Ansprüche der Konfliktparteien ausschließlich über’s Eigentumsrecht begründet), kann ein besonders gewitzter – oder auch ein besonders fauler – Drehbuchautor problemlos als “gerecht” im Sinne kindlicher Ingroup-Outgroup-Fairness-Intuitionen erscheinen lassen … “He-Man”: Propaganda für die Freiheit von den Zwängen gesellschaftlichen Denkens, mehr oder weniger bewusstlos hervorgebracht von den Sachzusammenhängen eines historischen Moments, da auch die Thatcher-Hexe formulierte: “There is no such thing as society.”

Es gab auch, etwas später, eine Mädchenversion. “She-Ra: Princess of Power” hieß die, hatte eine eigene Plastikfigurenserie (konnte man kämmen!), war angesiedelt im selben Universum wie “He-Man”, aber auf einem anderen Planeten (irgendwas mit Portalen). Der Feind hieß Hordak, nicht Skeletor, und die Geschichte drehte sich um Rückeroberung, nicht Verteidigung (dh: Guerilla-Warfare statt Polizeieinsätze als Erzählschablone) eines Territoriums, aber ansonsten war alles ungefähr gleich: Die in den Schlössern sind die Guten, die gesichtslosen Massen sind die Bösen.

Und jetzt haben sie diese “She-Ra” rebootet. Auf Netflix zu besichtigen. Dreizehn Folgen, anscheinend eher an die Erwachsenen adressiert, in deren Kindheit He-Man und She-Ra eine Rolle gespielt hatten, aber nicht absichtlich “erwachsen” oder so. Man merkt halt den veränderten sozialen Ort von Fernsehen: Es geht offensichtlich nicht mehr darum, was zu verkaufen; es ist offensichtlich auch nicht mehr gangbar, mit den billigst möglichen Strategien irgendwie die Bildschirmzeit zu füllen – wo früher mal galt, dass das Publikum mangels ähnlich blinkibunter Alternativen halt fressen werde, was man anzubieten habe, egal wie doof oder erkennbar schlecht, so sieht sich heute selbst noch der-die Fünfjährige, der von seinen Erziehungsberechtigten tatsächlich nur serviert bekommt, was auch seinem-ihrem Alter entspricht, einem so großen Überangebot an Zeug gegenüber, dass er-sie Ansprüche zu stellen beginnt.

Dementsprechend ist die neue She-Ra-Serie undoof, gut animiert, bevölkert von plausibel motivierten Personen, und der unbeabsichtigte camp-queere Subtext der alten Serie – er ist hier expliziter Text: Es gibt Lesben, es gibt Transgender-Personen (in Umwandlung, was aber nur angedeutet, nie angesprochen und nicht zum Gegenstand der Handlung gemacht wird), es gibt Regenbogenfarben, wohin man schaut; es gibt aller-unterschiedlichste als völlig normal präsentierte Körpertypen, und es gibt bei den “Guten” wie den “Bösen” das ganze Spektrum an möglichen Emotionen. Es hilft auch, dass der zentrale Konflikt, der diese ersten-dreizehn Folgen strukturiert, nicht (nur) zwischen “Gut” und “Böse” aufgespannt ist, sondern auch zwischen persönlicher Loyalität und gesellschaftlicher Verantwortung.

Narrativ hat sich also einiges getan; Reagan rotiert, wie wir uns vorstellen dürfen, im Grab. Wir sehen in She-Ra – jetzt, im Gegensatz zu früher, pluralistisch betitelt “and the PrincessES of Power” – die Erneuerung des liberalen Kapitalismus. Solange sichergestellt ist, dass die Leutchen mit den schönen Schlössern, den Anrede-Hierarchien und den diversen magischen (lies: charismatisch-individuellen) Kräften die Guten sind, und die Typen in der meritokratisch verfassten, auf technologische Entwicklung ausgerichteten Organisation, die die Schlösser enteignen wollen, die Bösen – solange darf queer sein und gut motivierte Gefühle haben, wer will.

Ich für meinen Teil habe mir dieses Update von der falschen Utopie mit Freuden in einem Happen ins Gehirn geschaufelt; begeistert von den Figuren und ihren Charakter arcs, begeistert von den Schauwerten und der Action. Es hilft, wenn man “Gut” und”Böse” umdreht: und sich “She-Ra” ungefähr als Geschichte vom Abwehrkampf eines fortschrittlichen, noch nicht hinreichend demokratischen Regimes gegen die ideologisch im Alltag der Bevölkerung eingewurzelten Überreste von Feudaladel und Kulakengesinnung deutet – als kindliche Fantasyvariante des russischen Bürgerkriegs, an den sich der monopolare Kapitalismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts wohl durch diese Linse, “therapeutisch” zu erinnern versucht:

“Schhhhh, alles ist gut, wir haben gewonnen und unsere Schlösser gehören immer noch uns …”

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