Two for Twelve


Persönlich kann ich mich durchaus über die Unterstützung einer Vielzahl von Projekten unter Lisa Rücker, der scheidenden Kulturstadträtin, bedanken. Eine Zusammenarbeit, die ich schätzte. Allein die Fragestellungen waren wertvoll wie nutzvoll und fanden oftmals die richtigen Worte; bei der Diagonale, beim Carl Mayer Drehbuchpreis, bei der Werner Schwab Retro, bei der Luser-Eröffnung im Kunsthaus usw. Besonders in Erinnerung bleibt mir die weitreichende Erwähnung des Filminitiators Bernhard Frankfurter und ihre Rede zu meiner Austellung “The other window water” in der Gallerie Centrum. Dort ging Lisa Rücker weitsichtig auf das Thema “Wasser” ein und kam auf den Grenzfluß Jordan zu sprechen, der heute aktueller denn je symbolisch um den Planeten wandert, ein Fluß, dem das Wasser abgeleitet wird, abgegraben, für nationale Agrarzwecke. Tatsache ist, daß das Tote Meer langsam versalzt, auch wenn Ha Shomer den angeblichen israelischen Wasserraub als Propagandalüge hinstellt. Wer über welche Systeme ausgetrocknet wird und versalzt, wird immer erst aus der Zukunft sichtbar. Über Entsalzungsanlagen und das weiße Gold wurde damals nicht gesprochen. Die Salzburgerin Lisa Rücker stellt sich gegen den Bruch der natürlichen Verläufe und Grenzen. Eine der ältesten Kulturlandschaften ist gefährdet – dieses Austrocknen kann man durchaus auch geistig verstehen. Inwieweit sich der Mensch anmaßen kann sich die Erde, den Jordan ebenso, untertan zu machen, kann man angesichts der nach der Trump-Wahl vorgestellten Weltuhr nur vermuten. Es ist nun 2 vor 12 geworden. Die Kunst hat gerade in dieser politisch schwierigen Phase die Pflicht wachzurütteln, zu wecken, die Salzkrusten der eingetrockneten Mumien abzukratzen und sich gegen eine zunehmende Haltung der Ignorranz zu stellen. Wie weit das Grazer Murkraftwerk dabei ins Gewicht fällt, läßt sich angesichts des Fehlens jeder städteplanerischen Berücksichtigung nur vermuten. Tatsache ist, dass grundsätzliche Rechtsgrundsätze und Grundrechte außer acht gelassen, und man sich derzeit an vollendeten Tatsachen bestärkt. Die Bewegung “Rettet die Mur” ist keine rein Grüne-Bewegung, sie trat über die Jahre aus einer Widerstandbewegung um den Musiksampler “Lamur” hervor, der den vielsagenden Titel “Auf- und Abgesänge an einen Fluß” trug. Diese Lamuridee wurde an einem heiligen Abend geboren und innerhalb weniger Wochen verwirklicht. Das die Stadt, ihre städtebaulichen Richtlinien durch Ableitungen, Zuleitungen, Umwidmungen, Kanalführungen, Neubauten, Enteignungen und das Kraftwerk selbst, in einem großen Ausmaß betroffen sein wird, wäre schon im alten Jericho stadtplanerisch berücksichtigt worden. Aber die Geschichte weist, daß Kulturpolitik mit seinen politischen Hintergründen nur zu oft in die Mühlen der Machtpolitik gerät, wo KulturstadträtInnen verdeckte Zensoren einer zukünftigen Politik werden könnten. Alles schielt zur Zeit in einen angepassten Raum. Ob es dabei ums eigene Überleben geht, spielt dabei keine Rolle. Es geht nicht um die Eigendefinition oder Alphastruktur des Künstlers, vielmehr zeigen sich künstlerische Positionen unter neuen Verantwortlichkeiten. Man darf hoffen, daß nicht wieder ein Polizist Kulturstadtrat wird, die Kunst politisch frei bleibt, und die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Kunstfreiheit gewahrt bleiben. Das darf man als Hinweis auf eine fehlende Mahnmahlkultur und die Verhinderungen von Kunst im Öffentlichen Raum sehen. Man muss nicht erst Knochenreste jüdischer ZwangsarbeiterInnen unweit der Seifenfabrik finden, die dort in Massengräbern verscharrt liegen, um themengerecht und künstlerisch nachhaltig zu agieren. Man muss nicht erst zur Salzsäule erstarren, um tätig zu werden, oder gar im vorletzten Atemzug ein Kunstwerk schmerzhaft raußzupressen. Ob das Ressort “Grün” blebt, wird sich weisen; bei soviel Couragette darf man sich das aber wenigstens erhoffen. Ansonsten kann man schlussendlich nur einen parteiunabhängigen Kanditaten vorschlagen. Jede Form von Unabhängigkeit ist diesbezüglich dienlich. Unparteilichkeit gegenüber einer systematischen Entwicklung, der man künsftig kritischer wird auftreten müssen. In den nächsten Jahren wird sich die Grazer Kulturlandschaft sowieso wandeln und verjüngen. Darin liegen die Chancen zur Veränderung, daß Proporzbeziehungen, Seillandschaften, Vereinsmeierei, Netzwerkgesellschaften und Clusterförderungen in der bestehenden Form eine Frischzellenkur jenseits von Stauräumen und Stauzonen erfahren werden.