Mehr Beton!


Klare Verhältnisse? – Bloß nicht!

Nehmen wir zur Kenntnis: Neuwahlen im Herbst, drei-Fronten-Battle-Royale: Bumsti St. Rache vs. Dumbo Kurz vs. Humphrey Kern. Daran ist einzig erfreulich, dass die Zuspitzung auf die beiden Häuptlinge der beiden ehemaligen Großparteien – im langjährigen Vergleich ungewohnt photogene Kerle, und obendrein überdurchschnittlich talentiert im fehlerfreien Aufsagen mehrgliedriger Sätze – dem lästigen Bumsti ein bisserl Wasser abgräbt. Leider verhält sich das u. a. so auch aus keinem besseren Grund als jenem, dass er halt nicht mehr ganz so fesch und schwiegersöhnlich-munter ausschaut wie seine beiden Mitbewerber, der Haazeh – aber was solls, der latente Lookismus bzw. Ageismus in der p.t. Bevölkerung ist zwar schiach und einer Kulturnation unwürdig, aber erweist sich im vorliegenden Fall vielleicht längerfristig als nützlich …

Die anderen Parteien sind alle nicht der Rede wert: Die Stronachs: Sowieso wurscht. Die Kummerln werden es nicht in den Nationalrat schaffen, es sei denn, die Mur-Mürz-Furche und das harte Wiener Pflaster bringen wahre Wunder in dunkelrot hervor … Dem Strolz seine pinke Interessensvertretung für Unternehmensberater und Privatpatienten wiederum wird in den Nationalrat knapp einziehen oder knapp nicht einziehen, darf aber de facto weiterhin einfachheitshalber als Flügel der Volkspartei für völlig meschuggene Klassenkämpfer von oben behandelt werden. Haselsteiners Geld ist das Tagesgeschäft egal, der legt das alles ein wenig langfristiger = machiavellischer = grössenwahnsinniger an; und selbst Niko Alm, der bislang als Vorzeige-Vernunftbesitzer unter den NEOS gelten durfte, grinst neuerdings in Oberösterreich von einem Plakat, auf dem er Sozialabbau und Unternehmer-Entfesselung fordert. Die Grünen schließlich haben inzwischen deutlich mehr als 20 Jahre Erfahrung darin, Dissens aus einer politischen Kategorie in eine moralische zu verwandeln und derart ihre Wähler_innenschar … äh … hübsch homogen zu halten. Dass von ihnen bis jetzt, bevor das unvermeidliche Sommerloch sich öffnet, keine lautere oder interessantere Ansage zur Herbst-Wahl gekommen ist als bloß diese allerlangweiligste Verkündigung der Glawischnig-Nachfolge, das sagt uns, dass sie es auf mehr nicht anlegen als auf das Halten der Kernwähler_innenschicht, und mehr wirds auch nicht spielen.

Alles in allem – das stand so schon in der einen oder anderen Zeitung, und das wurde auf der Ebene der Symbolpolitik schon absehbar, als der halblinks-liberale Nikotinbello in der Hofburg seinen wohlverdienten Platz einnehmen durfte und die großkoalitionären Kandidaten nicht einmal in die Stichwahl gekommen waren – steht uns das endültige Ende der Nachkriegsordnung in Österreich bevor. Der (zugegeben, bleierne) Konses der schwarzen und der roten Hoffnungsverwalter ist aufgekündigt und eine große Koalition nach dieser Wahl äusserst unwahrscheinlich. Wir werden, so oder so, die “klaren Verhältnisse” bekommen, die sie sich wünschen, und wer da meint, das sei an-und-für-sich bereits erstrebenswert, der/die darf sich jetzt schon im Kalender eintragen, dass er/sie nächstes Jahr einiges an Zeit brauchen wird, sich Asche übers Haupt zu streuen (bzw. mir reumütig einen Kasten Bier ins KiG! zu bringen).

Denn was das bedeuten wird, “klare Verhältnisse”, das erahnen wir, wenn wir uns vergegenwärtigen, was tatsächlich zur Auswahl steht: Zwei der drei Häuptlinge – Dumbo und Bumsti – führen nichts als zwei unterschiedliche Geschmacksrichtungen des Orbàn’schen Gulasch-Polizeistaats im Programm (Sch[l]üssselbegriffe: Nationalidentät, Grenze, Volksgemeinschaft, Kontrolle, Verschärfung); der eine halt mit NATO-Anbindung und dazugehörigem Fremdwortschatz; der andere ohne NATO, aber auch ohne Artikulations-Artistik.

Der dritte Spitzenkandidat, Kanzler Kern, würde, falls er gewählt wird, als Bundeskanzler mit einer SPÖ-Funktionärsschicht arbeiten müssen, die sich bis jetzt noch jedes Mal, wenn es wirklich auf sie ankam, von windigen äh “wirtschaftsnahen” Beratern begrifflichen Sand in die Augen streuen hat lassen. Hinzu kommt, dass der nominell “linke” Kandidat Kern (im Gegensatz zum nationalen Möchternsozialisten Strache und zum ordoliberalen Nordatlantiker Kurz) als einziger den Spielraum haben wird, jene Art von “Reformen” durchzusetzen, für die eine schwarze oder blaue Regierung mit Torten, Tomaten und faulen Eiern für die Dauer der gesamten Legisalturperiode zu rechnen hätte: Zeug wie jenes Hartz IV auf österreichisch, von dem derzeit angeblich nur schwarze Hardliner träumen … Auf dem Papier noch grauslicher, aber insofern akzeptabel für die entscheidenden 51 % der Verarmten, als es so schlampig formuliert und umgesetzt werden wird wie hierzualnde alles andere auch; voller Hintertürchen und Spielraum für persönliche Sympathien zwischen der Beamtenschar und den Unterworfenen … (was freilich andersrum auch bedeutet: Spielraum für die Antipathie einzelner Beamten, so richtig zum Tragen zu kommen, wenn sie es denn drauf anlegen – beispielsweise angesichts einer unagenehmen Kombination aus falscher Hautfarbe und Mangel an unterwürfigem Grinsen beim Antragsteller).

Wie man es auch dreht und wendet: Eine tatsächlich handlungsfähige Regierung wäre eine ausgesprochen schlechte Nachricht.

Klare Verhältnisse? Eindeutige Ansagen und kompetentes, durchsetzungsfähiges Personal? Ein Ende des jahrzehntelangen Stillstands? – Bloß nicht!

Ich behaupte: Österreich ist nicht so reich und – trotz allem – immer noch so vergleichweise gechillt, wie es ist, weil es etwa nach dem Krieg statt der verdienten, unzärtlichen Entnazifizierung höchst unverdiente Marschallplan-Hilfe abbekommen hätte; auch nicht wegen der “immerwährenden Neutralität”, die eh keiner mehr will, seit die Piefke wieder vereinigt und die Sowjets wieder Russen sind; nicht unsere Skipisten noch unsere Sängerknaben, weder Kreisky noch auch die fruchtbringende strategische Nutzlosigkeit unseres kleinen Ländchens haben es uns beschert, dass es uns so geht, wie es geht … Nicht falsch verstehen: Alle diese aufgezählten Faktoren werden wohl nützlich und nett gewesen sein – aber sie hätten kaum über die Jahrzehnte vorgehalten, wenn nicht der glorreichen Stillstand, ja die gesegnete gegenseitige Dauerblockade zwischen Rot und Schwarz, sie alle konserviert und, sagen wir, einbetoniert hätte: Als anachronistischer Hinter- und Untergrund eines ebenso anachronistischen, rituellen Tauziehens zwischen exakt gleich starken, gleich ausdauernden und, ja, auch gleich depperten und gleich sturen Machtblöcken.

Denn wie im nahen Deutschland und Frankreich seit mindestens 1968 unter dem Pflaster der Strand lag – weil es in jenen grösseren Volkswirtschaften nämlich tatsächlich um was ging, sowohl für die Akteure der diversen Revolten und politischen Wachstumsschübe alsauch für die reaktionären Eliten, die so oder den Deckel draufhalten mussten auf ihrem jeweiligen Laden – so konnte im segensreich stillgelegten Österreich ab dem Ende der unmittelbaren Nachkriegszeit auf dem Beton der Sozialpartnerschaft so manches Moos und Kräutlein wuchern: So schlugen denn allerhand kulturelle und betriebliche Subkulturen Wurzeln in der Institution gewordenen Erinnerung an den Bürgerkrieg von 1934 ff, zersetzten sie langsam, ließen die Form der Sache wohl noch erahnen (Rot gegen Schwarz; Arbeiter und Angestellte gegen Großbauern und Grundbesitzer; Zukunft gegen Vergangenheit …), aber die Details zu der Frage, warum das nochmal alles so und nicht anders sich verhielte, die ließen sich nicht mehr ausmachen unter all dem Wildwuchs, der da so friedlich nebeneinander … Warum überhaupt streiten, nichtwahr, wenn man auch koexistieren kann, aufs allerösterreichischste (dh: höflich, hinterfotzig, weinerlich und handlungsunfähig vor lauter Harmoniebedürfnis)? Parallelstrukturen bauen, Staaten im Staate, von denen sich alle die je “eigenen” leute gut versorgen lassen, und den je “anderen” Platz für ihre Parallelstrukturen lassen: Rote Falken und Pfadis, ARBÖ und ÖAMTC, Kammersaal und Minoritensaal, schwarze und rote Schulen usw. – so geht sozialer Frieden, an den tatsächlich beschlossenen Gesetzen vorbei, alles informell …

… Und geht freilich nur solange, wie es keine Notwendigkeit für die Funktionärsschichten gibt, die Welt ausserhalb dieser solchen Stillstandsblase zur Kenntnis zu nehmen und adäquat auf sie zu reagieren. Das Versagen der SPÖVP in dieser Hinsicht hat uns erst Haider und nun seinen erfolgreicheren Wiedergänger Bumsti beschert – das wissen wir. Wir wissen auch, dass man nicht einfach beschließen kann, zu einem einmal gekippten Kräftegleichgewicht zurückzukehren. Alles gut. Aber die Bereitwilligkeit, mit der unser zuständiges Personal die letzten siebzig Jahre politischer Alltagskultur im Lande als veraltet verklappt, kaum, dass sie eine Chance wittern, zu “gewinnen”, sollte uns zumindest nervös machen.