Autorität und Kleinganoventum. Eine Übersicht


Das Folgende erschien mir alles bisher selbstverständlich, nicht der Rede wert; erschien mir als *Ausgangspunkt* möglicher Gespräche über die Welt, in der wir leben, und nicht als deren potentieller *Gegenstand*. Ich wurde kürzlich drauf hingewiesen, dass dem nicht so sei, und dass ich’s mal aufschreiben solle. Ok. Hier bitte. Die einzelnen Punkte sind übrigens alle von K. Theweleit, H. Arendt, S. Freud, nur die holprige Hauruck-Zusammenfassung ist von mir.

 

Es geht um zwei Fragen. Erstens:

Warum es immer dieses gleiche Gesupp aus Privatkonkurs und Hochstapelei ist; gerade diese und keine andere Mischpoche; warum stets dieser Bodensatz aus habituellen Kleinganoven, hauptberuflichen Söhnen, schwindligen Versicherungs- und Immobilien-Typen, Pyramidenspielpushern und komischerweise Sicherheitsapparatfiguren, der es in Ost und West, in Nord und Süd, in Land um Land und in Firma um Firma an die Macht spült? Wo es doch diesen Kerlen und Kerlinnen allen erkennbar an Ahnung, Anstand, Augenmaß mangelt?

(Anmerkung: Die elaborierte Liste mit Belegen – die Aufzählung von Namen, Blödheiten, Anekdoten, vom Personal im Weissen Haus und im Kreml an abwärts, über die jüngst verurteilten Kärntner Politikerimitate bis ganz hinunter zum neuen Zeugwart und Schiebungsprofiteur in irgendeinem X-beliebigen Zweitligistenclub – diese Liste spare ich mir. JedeR weiß, wer und was gemeint ist; die Gestalten, die heute überall feixend hocken, wo es nach Macht und Einfluß, nach Schnell-Reich-Werden oder Sadismus-Ausleben-Dürfen auch nur von ferne riecht, die hätten sich selbst noch anno Vranitzky zu benehmen gewusst und die Pfoten brav von der jeweiligen Keksdose ferngehalten. [Und nein, die Proksch-Partie zählt nicht. Das waren ein paar wenige Leutchen, und die wurden mitsamt ihren weiträumig schuldlosen Freunden sofort ausgesondert und gebrandmarkt. Was damals als “Skandal der II. Republik” gelten durfte, dafür kommt heutzutage dem Graf Mensdorff sein Dackel nicht hinter der Ofenbank hervor.])

Also: Warum immer diese gleichen mitleiderregenden Figuren und nicht mal zur Abwechslung andere? – Es liegt, um ein Gukl-Zitat abzuwandeln, nicht daran, dass da irgendwo eine verbindliche Durchführungsverordnung herumläge, die man unterschreiben müsste, ehe man seine jeweilige Karriere machen will. Es liegt vielmehr daran, dass es unter den gegebenen Bedingungen so und nicht anders funktioniert. Wie jedeR StudentIn der britischen Kolonialgeschichte sicher gern bestätigen wird: Solange es ein unhinterfragtes Primat der Wirtschaft über die Politik gibt (also des kurzfristigen Denkens über das langfristige), sind die gesellschaftlichen Anreizstrukturen nun einmal so gelagert, dass sie minimal empathiefähige, zurechnungsfähige und allgemein undoofe Menschen vom Weg Richtung Macht und Einfluss weiträumig fernhalten werden. Warum dieses? – Wiederum Gunkl, sinngemäß: In dem Moment, wo du darüber nachdenkst, ob du irgendeine verantwortungsvolle Stelle annehmen willst, die dir angetragen wird … weil es gäbe da allerhand Für und Wider, auch kannst du dir nicht sicher sein, dem Job ganz gewachsen zu sein, und du weißt auch, was das für Konsequenzen für andere hätte, wenn du scheiterst … in dem Moment also, wo du dir sowas denkst, kannst du es auch gleich wieder bleiben lassen: An der gegenständlichen Stelle wird garantiert schon eineR sitzen, und zwar einer, der nicht so lange nachdenken musste (weil ersie entweder zu doof, oder zu gierig, oder ein Oarsch ist).

 

Zweitens:

Warum sind die so, diese Typen? Woher rührt, dass die so konsistent rechts bis rechtsradikal sind, so von der Sehnsucht nach klaren Verhältnissen, strammen Riemen (ähem), wirksamen Grenzen angetrieben? Warum können die habituellen Kleinkriminellen und Psychopathen, wenn sie es zu was bringen, nicht auch einmal linke, menschenfreundliche Ideen propagieren und vorantreiben – wo ihnen doch der tatsächliche Inhalt von Politik und Machtausübung erkennbar völlig egal ist, solange sie (a) gelegentlich abends irgendwo auf einem Balkon stehen und sich besser als *die da unten* fühlen dürfen und solange (b) ausreichend öffentliche Gelder zum privaten Verprassen zu ihrer Verfügung stehen?

Ich habe zu dieser zweiten Frage eine Vermutung. Dass diese Vermutung einer der konkurrierenden Faschismustheorien ähnlich sieht, soll dabei nicht bedeuten, ich würde in allen den hier gemeinten Hallodris Faschisten sehen. Also: Warum die verlässliche Gleichzeitigkeit von Ganoventum und autoritärem Charakter? – Weil sie sich fürchten, die Häschen. Weil:

Stellen wir uns zuerst jemanden vor, des es nicht schafft, mit ca. sowas hier emotional umzugehen: “*Meine Frau* ist mir davongelaufen, weil *ich* kein Geld mehr verdiene und dann vor lauter Frustration zum Saufen ang’fangt habe.” – Was soll er machen?: Die Alte ist de facto fort, das Konto leer, der Pegel steht bei 0,7 Promill; irgendwie muss er sich dazu verhalten. Einfacher wird‘s, wenn er als erstes jede Spur seiner persönlichen Geschichte aus dem Dings hinausstreicht, an das er seine sperrigen Gefühle dranhängt (beim alten Sigmund F. heisst das “Verdrängung und Übertragung”) – aus “meine Frau ist weg” wird “der Feminismus mach die Familien kaputt”, aus “ich bin pleite” wird “finstere Mächte saugen das Volk aus” usw. Aus dem persönlichen Trauerspiel wird eine Katastrophe im Großenganzen; weil es nie nur mir so gehen darf, wie es mir eben geht, so ist nicht *meine* Welt aus den Fugen, sondern *die* Welt. (Und das sagt alles nichts drüber aus, ob sie nicht ggf. wirklich aus den Fugen ist. Hat nur nichts miteinander zu tun. Kann schon sein, er hat zufällig den “richtigen” Schuldigen für sein jeweiliges Individualleiden ausfindig gemacht, unser Verdränger; aber solange er über die Welt nur redet, um nicht von sich reden zu müssen, nutzt das ihm und uns genau Nüsse.)

So. Und jetzt stellen wir uns die Typen vor, die so jemand wählt, oder denen so jemand, in Gegenden mit weniger repräsentativdemokratischen Methoden, anderweitig Macht über sich verleiht. Sie müssen ähnlich ticken wie er, oder ihm zumindest den Anschein bieten, dass er da nichts übersieht; dass er tatsächlich ganz sicher nicht schuld ist an seiner Misere; dass alles ganz einfach ist und er sich auch wirklich, Ehrenwort, nichts vormacht. Geht natürlich am Leichtesten, wenn sie selber bis ins Mark erschüttert sind über irgendwas, oder spürbar in dieser selben, falschen Art über die Wirklichkeit reden, bei der es nicht um tatsächliche Sachen geht, sondern um innere Welten, um das Wiederherstellen verlorenen Ausgleichs.

Wenn jemand wie Sobotka oder Trump von “Grenzsicherung” redet, müssen wir uns denken: Es geht da um Sicherung der Grenzen des eigenen Ich; um Absicherung gegen schmerzhafte Erinnerungen aus der Zeit des Heranwachsens, oder gegen das Zerfließen im Ungefähren, wenn man draufkommt, nicht ausreichend *jemand* geworden zu sein; es geht um das Zurückweisen der vielen kleinen Kränkungen, die von rundherum hereintrudeln. Wenn Strache, Gabalier, Mateschitz von “unsere[r] Kultur” reden, die “nicht noch mehr Einwanderung” vertrage oder so, dann wird das verständlicher, wenn wir uns vorstellen, die sagen, dass ihnen persönlich die Anforderungen zu viel werden, die ihr soziales und berufliches Umfeld an sie stellen; dass sie “schon nicht mehr wissen, wer sie sind”. Ob sie selber dran glauben, oder ob wirklich nur politisches Theater für ihre in Verdrängungspanik befangenen Machtbasisbewohner spielen (welches Theater freilich das einzige ist, was sie jeweils an der Macht hält, weil: *können* tun sie ja alle nichts), ist unerheblich. Von Bedeutung ist, dass die völlige Identifikation der Nation, des Volkes oder der Tradition mit dem zu kurz gekommenen, “betrogenen” Ich die einzige Logik ist, der sie folgen dürfen. Vernunftargumente funktionieren in diesem Hallraum nicht und sind höchstens unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn‘s gar nicht anders geht, möglich.

Will sagen: Die Sorte Hochstapler bzw. Trickbetrüger, die man sein muss, um überhaupt auf die Idee zu sowas wie den Buwog- und Eurofighter-Deals zu kommen … und andererseits die Sorte Empathiezwerg, der nicht im Stande ist, in Geflüchteten *Leute* zu erkennen und sich entsprechend der goldenen Regel zu verhalten … Natürlich sind die tendenziell alle autoritär: Weil’s zu einem richtigen *Ich* nicht gereicht hat, müssen sie alle Kraft dazu aufwenden, ihre funktionale Ich-Attrappe – ihr Volk, ihre Heimat, ihre Nation – “hochzuhalten”, zu “verteidigen”. Und weil sie, als z.B. Politiker, tatsächlich in der Position sind, die realen Gegebenheiten in “ihrer Heimat” zu beeinflussen, wird das geschilderte mitleiderregende Schauspiel zur wirklichen Wirklichkeit von uns anderen.

 

Soviel dazu. Wie von hier aus weiter?