Aufrechts


Tränen der Rührung fließen über unsere Antlitze, hören und sehen wir, wie entschlossen gegen jeden, aber schon jeden Extremismus in diesem Land im Kreise der Regierung aufgestanden wird. Der Kanzler hat offenbar erst nachfragen müssen, um sich zu entschließen, rechtsradikale Texte doch nicht zu mögen. Einen Reflex gegen Rechtsextremismus scheint er nicht zu besitzen, wie denn auch: Jemand mit Abneigung gegen rechtsextreme Tendenzen würde nicht mit ehemaligen Wehrsportkämpfern Politik machen wollen. Mit einem Mann, der von seiner Fangemeinde des Verrats bezichtigt wird, weil er sich gegen Antisemitismus und sonstige gesellschaftliche Unzumutbarkeiten ausspricht. Die Saat geht also auf, zumindest auf den Heimseiten diverser Plattformen. Die Worte dieses Vizekanzlers sind aber getrost in die Bedeutungslosigkeit zu stellen, sie sind heiße Luft.

Die große neue Oppositionspartei ist, wie gehabt, mit sich selbst beschäftigt, sie hat die Oppositionsbank genauso wenig gefunden wie die neuen besten Freunde des Kanzlers die Regierungsbank. Der neue erste Nationalratspräsident, der als Innenminister nicht wesentlich anders geklungen hat als der aktuelle, mahnt am lautesten, und schließt die Message, Radikalismus keinen Raum zu geben, ab mit den salbungsvollen Worten: “Von links, von rechts, von nirgendwo”. Von links? Warum von links? Was ist mit der Mitte?

Vorerst eine Ergänzung: Die Protestkundgebungen gegen die aktuelle Bundesregierung und diverse Veranstaltungen werden, abgesehen davon, dass sie friedlich verlaufen, beileibe nicht ausschließlich von linken oder gar linksextremen Menschen veranstaltet und besucht. Um diese Auswüchse des hiesigen rechten Flügels, der inzwischen getrost in Bausch und Bogen Narrensaum genannt werden kann, abzulehnen, muss man keine linke Orientierung haben. Der Protest gegen einen Ball von Menschen, die offiziell einem Liberalismus huldigen, der 1848 das Licht der Welterblickt hat, im Keller aber reaktionäres und nationalsozialistisches Gedankengut weitergeben, weiterleben und aufschreiben, muss selbstverständlich sein, alles andere wäre ein Grund zu großer Sorge. Wogegen Menschen aus einer politischen Mitte, wie sie sich eine Politik offenbar nicht vorstellen kann, aus Anstand, Würde und intakter Erinnerung Zeichen setzen, möchte von einer vermeintlich bürgerlichen Partei einmal mehr aus Antrieb zur Macht salonfähig gemacht werden. Es gelingt aber ein weiteres Mal nicht, und selbst macht sie einen weiteren großen Schritt weg aus einer behaupteten Mitte, die sie längst zugunsten einer rücksichtslosen Machterlangung nach rechts verlassen hat.

Nun noch eine kleine Anmerkung an die Kanzlerpartei: In diesem Land gibt es zur Zeit und schon länger von links quasi nichts zu wappeln. Jeder einzelne extreme Unfug, jeder schlecht riechende Rülpser, jeder Sprung in braunen Morast, jede Peinlichkeit, jede Unzumutbarkeit, jede – noch – verbale Grauenhaftigkeit, jeder Ausrutscher, jede Hetze, jede zum Fremdschämen ausgelassene Dummheit und Unverfrorenheit, die in der internationalen Öffentlichkeit Gehör findet und Aufsehen erregt, kommt in diesem Land zur Zeit ausschließlich von rechts und rechts außen und damit gleichzeitig teils aus der Bundesregierung, geschätzte Damen und Herren von der Kanzlerpartei – von jenen Gesellinnen und Gesellen, die sie gerade eben in aller Freundschaft in ihre Koalition gehievt haben. Hören sie auf, salbungsvolle Beschwörungen gegen Extremismus an die Allgemeinheit abzugeben, die sich bei der Nase nehmen soll: Wegen ihnen sitzen diese Leute dort, wo sie gerade Unerträgliches veranstalten, und genau dorthin sind die Forderungen zu senden, sich endlich so zu benehmen, wie es erwachsene und staatstragende Menschen tun sollten. Und seien sie versichert: Ohne jegliches Anzeichen von Genie – es sind ja noch nicht einmal halbwegs brauchbare neue Ideen zu erkennen – anzunehmen, der komplette Rest des Landes sei herumzuführen wie der Esel mit der Karotte vor der Nase, ist ein Konzept, das nicht lange aufgeht, erinnern sie A. Lincoln: You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time. Mehr Menschen, als sie glauben möchten, wurden nie von dieser Regierung getäuscht – die wussten und wissen genau, was passiert, wenn diese Leute in Regierungsämter kommen, es ist vorhersehbar. Und viele, die zu täuschen noch gelungen ist, werden es bemerken, früher oder später, wenn sich die großen Pläne der Veränderungen – bzw. Pläne zu einer konstruktiven Politik insgesamt – mit einer (oder im Moment gar zwei?) durch und durch reaktionären Partei wieder in Luft auflösen. Die Erinnerungen an die Abgründe, die hier unter konservativer Regie aufgehen wie weiland vor Moses das rote Meer werden nicht im Ordner “Fake News” abgestellt werden können.

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